Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
Vom Netzwerk:
er mit zwölf Dollar und sechzig Cent in der Tasche auf dem holländischen Frachter CORMORAN hier angekommen, hatte sich ein paar Tage umgesehen und dann zum Bleiben entschlossen. Er hatte abgemustert und sich an dieser schönsten der vielen Meeresbuchten, die ihm während seiner Seemannsjahre vor Augen gekommen waren, einen Job gesucht. Dreiundzwanzig Jahre alt war er zu der Zeit gewesen, und trotz seiner Jugend hatte es ihm Schwierigkeiten bereitet, in dem feuchtheißen Tropenklima zehn, elf oder gar zwölf Stunden täglich zu arbeiten. Aber er hatte durchgehalten. Vor allem die großen Hotels an den Stränden waren sein Tätigkeitsfeld gewesen. Er hatte als Bell-boy gearbeitet, als Clerk, als SubManager und schließlich als Direktor. In dieser Zeit hatte er jeden Peso, den er nicht unbedingt zum Leben brauchte, gespart, und dann war endlich der große Tag gekommen. Im Stadtteil Condesa , auf halber Höhe des die Bucht säumenden Hügelringes, war ihm von einer mexikanischen Erbengemeinschaft, die es eilig hatte zu verkaufen, ein großes Grundstück billig angeboten worden. Da er damals noch nicht naturalisiert war, hatte er es nur durch die Hilfe eines mexikanischen Freundes, der als Strohmann fungierte, erwerben können. Drei Jahre später hatte er, zusammen mit seiner Bank, einen soliden Finanzierungsplan erstellt und zu bauen begonnen.
Schon lange vorher hatte er von seinem Hotel eine klare Vorstellung gehabt. Um nichts in der Welt hatte er einen jener seelenlosen Betontürme bauen wollen, wie sie zu Dutzenden zwischen Uferstraße und Strand standen und größtenteils von den weltweit vertretenen Hotelketten für den Massentourismus bereitgehalten wurden. Ebensowenig wollte er ein Haus wie beispielsweise das Hotel MIAMI, das sich ein Schweizer in der Nähe der Altstadt gebaut hatte. Zwar saß er dort manchmal im schattigen patio bei einem Glas Bier und unterhielt sich mit den vorwiegend deutschstämmigen Gästen aus der Hauptstadt, aber zum Wohnen war ihm das durch den dichten Bewuchs verwunschen wirkende Haus zu düster. Er wollte seinen Gästen kein Dschungel-Camp bieten, sondern eine lichtdurchflutete und zugleich kühl gehaltene Residenz. Da kam Teddy Stauffers VILLA VERA seinen Vorstellungen schon näher, nur war ihm dieses Luxus-Hotel zu extravagant und natürlich auch viel zu teuer. Er wollte ein Hotel der Mittelklasse, komfortabel, ruhig und sauber.
Schließlich war ein Haus entstanden, das seinem Sinn für das Maßvolle entgegenkam und doch auch gehobenen Ansprüchen gerecht wurde. Es war ein doppelstöckiges weißes Gebäude mit dreißig großzügig eingerichteten Zimmern, jedes mit Balkon oder Terrasse versehen. An einer Ecke des Hauses erhoben sich, fast wie ein Flughafen-Tower, zwei weitere Etagen auf einer Grundfläche von etwa fünfzig Quadratmetern. Dieser aufgesetzte Kubus bildete seinen privaten Bereich. Er enthielt im unteren Teil ein großes Arbeitszimmer und im oberen einen mit viel Komfort ausgestatteten Wohn-Schlafraum, zu dem auch der Balkon gehörte, auf dem er jetzt saß, sowie ein geräumiges Bad.
Während der Errichtung und Ausstattung des Hotels war er sorgfältig darauf bedacht gewesen, die zahlreichen Fehler, die seine Kollegen in den großen Häusern begingen, zu vermeiden. So hatte er zum Beispiel die Aggregate der Klima-Anlagen, die viel Lärm verursachten und die in den meisten Hotels oberirdisch und ohne Schall-Isolierung arbeiteten, im Boden versenkt, so daß nur ein leichtes Summen zu hören war. Auch einen anderen weit verbreiteten Mißstand hatte er vermieden. In seinem Hause gab es keine Musik! Zu oft hatte er in den Hotels der Costera die Beschwerden der Gäste entgegengenommen, die nachts an der Rezeption erschienen waren, verstört und empört, weil die Lautsprecher den harten, hämmernden Beat, der unten gespielt wurde, bis ins zwanzigste Stockwerk hinauf schleuderten. Eines Nachts war ein Gast zu ihm an den Tresen gekommen, ein Engländer von kaum vierzig Jahren, also kein betagter Mann, dem man vielleicht eine gewisse Rückständigkeit hätte zuschreiben müssen. »Meine Nerven«, hatte der ihm erklärt, »machen das nicht länger mit. Bitte, bestellen Sie mir ein Taxi! Ich möchte hinauffahren in die Berge.« Er hatte sich bei diesen Worten umgedreht und mit beiden Händen in die Richtung des oberen Hügelringes gezeigt. »Da möchte ich eine Weile sitzen und die grandiose Bucht betrachten. Von hier aus kann ich sie nämlich nicht mehr sehen, obwohl sie direkt vor
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher