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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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immer jünger und bunter. Wir essen an unserer Tafel, ich unterhalte die Tafelnden mit Geschichten über Schicksale, die ich auf Reisen gesammelt habe. Um Zuhörerschaft zu finden, habe ich gelernt, ihnen eine knappe Form zu geben. Unser aller Tafel wird von Jahr zu Jahr vielsprachiger. Die Fremdheit ist wie der Wunderbrei, der über das Land, über ganze Kontinente schwappt. Aber schaue ich genau hin, ist jede Fremdheit anders. Wir werden dafür neue Begriffe und Bilder finden müssen. Die nächste, die übernächste Generation wird es tun.
    Manchmal schließe ich die Augen und höre Sprachen, ein Wirrwarr aus unverständlichen Sprachfetzen, Kinderstimmen, Erwachsenenlachen. Es ist Glückseligkeit, nur hinhören, den Inhalt nicht verstehen, und wissen, dass die Menschheit da ist, dieser Zufall des Universums, und ich lausche ihren Lauten. Das Exil schenkte mir dieses Radiogerät, ich drehe am Knopf. Es wird lauter, immer lauter.
    Das Auffällige ist hier das Fehlende – keine losen Gegenstände, mit denen sich die Patienten selbst verletzen oder die sie dem Psychiater an den Kopf werfen könnten. Die Angestellten tragen an der Hüfte einen Schlüsselbund, sie öffnen ohne Vorwarnung die Türen, und kaum sind sie im Raum, schon dreht sich der Schlüssel wieder im Schloss. Die Fenster sind blockiert und trotz der Hitze nur einen Spalt breit geöffnet. Die geschlossene Psychiatrie wirkt, als litten ihre Bewacher selbst an Angst vor offenen Räumen. Als schwebe über allem eine Gefahr, die durch Riegel und Medikamente gezähmt wird. Hier leben zwei Menschenarten. Zwischen ihnen gibt es keine Vermischung. Nur die Gesunden besitzen Schlüssel, Schlüssel zum Gesundwerden. Das Klimpern der Schlüssel ist das einzige Geräusch, nur ein dumpfer Schrei unterbricht es. An diesen unheimlichen Ort bringt man Flüchtlinge, die sich gegen ihre Abschiebung gewehrt haben.
    Der eingelieferte Selbstmörder ist in seinem Wunsch, tot zu sein, das einzig Lebendige hier. Er wirft die langen Beine auseinander, streckt die Arme zum Himmel, überkreuzt sie im Nacken, beugt sich tief vor, Dehnungen, die man sich in diesen Breitengraden nur in der Gymnastikstunde gestattet. Ein Psychiater und ein Pfleger betrachten den Fremden regungslos. Er hat sich Freiheiten herausgenommen, ohne an die Folgen zu denken: Mit einer Waffe hat er gekämpft, sieben Kinder gezeugt, den Rebellen, die aus den Bergen in sein Dorf gekommen waren, heimlich Brot zugesteckt. Er ist denunziert worden, ihm drohte Folter, er hat Haus und Hof verkauft, durchquerte mit der Familie ein paar Länder und bat um Aufnahme im hiesigen Flüchtlingsheim. Als der Befehl kam, sie in ein Drittland abzuschieben, stürmten die Polizisten das Heim. Er band sich geistesgegenwärtig den Gürtel um den Hals, streckte dem Schicksal die Zunge heraus. Es hat ihm genützt. Man hob die Abschiebung auf und wies ihn in die Psychiatrie ein.
    »Würden Sie es wieder tun?«, fragt der Psychiater.
    »Nur wenn man mich wieder abschiebt. Selbstmord ist Sünde gegen Gott.«
    Der Psychiater ist ein wunderschöner Jüngling in einem taillierten Hemd mit glänzenden Schlangenmustern über der Brust. Eine dichte Haarlocke fällt in sein scharf geschnittenes Gesicht, er macht in engen Hosen einen Hüftschwung. Alles ist verspielt an ihm, nur seine Worte nicht:
    »Halten Sie sich für psychisch krank?«
    »Nein, aber ich bin kriegstraumatisiert wie mein ganzes Volk.«
    »Wir sehen keinen Grund, Sie bei uns zu behalten.«
    Der Psychiater blickt gnadenlos und stützt sein Kinn mit der Hand ab, wie ein Liebessüchtiger in einer Schwulenbar. Der Selbstmörder will die Freiheit nicht, die psychiatrische Klinik ist ein sicheres Versteck wie der unzugängliche Wald. Er bettelt jetzt um einen Schutzbrief, den er den Polizisten entgegenhalten könnte, eine magische Formel der Unzurechnungsfähigkeit. Aber der betörende Psychiater jagt ihn ohne Geschenk aus seinem Revier.
    Der Kämpfer veranstaltet ein Abschiedsritual:
    »Nicht mit der Absicht, Ihr Land zu erobern, bin ich zu Ihnen gekommen, sondern in Freundschaft. Möge Ihnen Gott alles zurückgeben. Verzeihen Sie, falls ich ungewollt gegen Ihre Regeln verstoßen habe.«
    Bloß Floskeln aus seiner Kultur sind das, doch der Pfleger ist gerührt und schämt sich für sein ungastliches Land, will den sieben Kindlein Obdach gewähren. Der Psychiater erhebt sich kühl und elegant. Ein Kampf zwi schen zwei Männern fand statt. Der Machokämpfer hat hier einen schwachen
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