Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)

Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)

Titel: Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
Autoren: Magali Ségura
Vom Netzwerk:
Die Maske
     
    Der kleine Junge setzte sich in die Sonne auf das dicke Strohdach. Die Unendlichkeit des Himmels sorgte für die Ungestörtheit, nach der er seit drei Tagen suchte. Aus der Hintertasche seiner abgewetzten Hose zog der Junge ein kleines, weiches Buch, das mit einem geflochtenen Band verschlossen war. Der braune Ledereinband war gut gearbeitet; nur wenige neugierige Hände hatten das Buch bisher aufgeschlagen. Die Goldbuchstaben und sternförmigen, illuminierten Ornamente, die der Kopist so fein wiedergegeben hatte, ließen erkennen, wie prächtig das jahrhundertealte Original gewesen sein musste.
    Der kleine Junge war gegen seinen Willen beeindruckt und zögerte noch, das Buch aufzuschlagen. Aus Angst, ein entsetzliches Geheimnis zu entdecken und nicht das zu fühlen, was er sich erhoffte. Er erinnerte sich, wie geistesabwesend und besorgt seine Mutter wirkte, wenn sie in diesem Buch las. Hatte er recht daran getan, es sich ohne ihr Wissen von ihr auszuleihen? Er war wie gewöhnlich geflohen, um später mit Freude zu ihr zurückzukehren, aber auch, um sicherzugehen, dass er die kostbare Diebesbeute würde lesen können.
    Es war kein Abenteuerroman, noch nicht einmal ein Reisebericht, für den sich jedes achtjährige Kind hätte interessieren können. Zu viele Tote irrten im Geist des kleinen Jungen umher, als dass es ihm möglich gewesen wäre, sich in diese Art Literatur zu flüchten. Das in die Volkssprache übersetzte Buch in seinen Händen barg die Memoiren des ersten Königs von Pandema. Und weil dies der Herrscher des großen Nachbarkönigreichs gewesen war, das in den Welten als Ideal betrachtet wurde, schien diese Botschaft an die Nachwelt dem Jungen ergreifender als die beste erfundene Geschichte.
    Das Kind holte entschlossen Luft, entknotete das Band und schlug mit fahrigen kleinen Fingern die erste Seite der Vergangenheit auf:
     
    Der Krieg der Jahrhunderte ist vorüber. Und ich, Enkil, ein Stra ßenkind, bin König geworden. Welch Ironie der Gottheiten des Guten und des Lebens: Der unbedeutendste aller Menschen ist Ihr Held und Ihr Kämpe geworden, und mein Sieg hat einem Land der Welt des Ostens, in dem »leben« zwangsläufig »stehlen« oder »andere töten« bedeutete, einen unwirklichen Frieden beschert.
    Ich sollte froh sein, ja beruhigt: Mein Glück ist vollkommen, und ich habe die Gewissheit, dass es auch bis zu meinem Tode so bleiben wird. Mein Volk ist sehr zufrieden, und nur recht wenige Herrscher können sich so glücklich schätzen. Doch je mehr Zeit vergeht und je stärker das Alter seine Ansprüche auf mich geltend macht, desto weniger gelingt es mir, den Gedanken an die Schrecken des Krieges für meine Nachkommen zu verdrängen. Vierhundert Jahre gehen rasch vorbei, und zu leicht vergisst man in dieser Zeit die Macht des Bösen oder sogar seine Existenz.
    Ich weiß, dass das Böse nicht besiegt ist. Wird es das eines Tages sein? Seine Macht ist irgendwo eingesperrt oder begraben, aber sicher nicht endgültig. Zu viele Konflikte zwischen den Gegensätzlichen Gottheiten haben die Feen des Lebens geschwächt. Ich weiß, dass mein Sieg ihnen nicht all ihre Kräfte zurückgegeben hat; das Strahlen ihrer Güte dringt kaum bis in die Nachbarländer vor. Die Ungewöhnlichen Lande werden nicht so bald ihre Angriffe auf den Norden Akals einstellen. Ich frage mich sogar, ob die Feen überhaupt eines Tages den Völkern, die seit acht Jahrhunderten nur Hass erlebt haben, Liebe einflößen können.
    Die Gottheiten des Guten benötigen einen weiteren Sieg, einen Stützpunkt an einem zentraler gelegenen Ort in der Welt des Ostens.
    Warum kann ich nicht aufhören, daran zu denken? Ich werde die Zukunft nie kennen, ich werde die nächste Schlacht nicht miterleben. Dennoch kann ich mich nicht davon abhalten, mir Ort und Zeit auszumalen. Ganze Nächte verbringe ich mit der Frage, ob ich das, was ich herausgefunden habe, in die Mauern meines Königreichs einmeißeln soll, um die Welt des Ostens vor der künftigen Gefahr zu warnen, oder ob ich schweigen soll, um keine Ängste zu schüren oder einen Präventivkrieg zu verhindern.
    Das Gute und das Böse haben schon lange vor mir gekämpft und werden noch jahrtausendelang kämpfen. Es gelingt mir trotzdem nicht zu schlafen. Ich habe das ungute Gefühl, dass ich meine Aufgabe nicht zu Ende gebracht habe. Wird es einst jemanden nach mir geben, der mein Werk fortführt und siegreich bleibt? Mein Wille wurde von der tiefen Sehnsucht nach Frieden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher