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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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verschwiegen. Das war Betrug, und ich lehnte mich dagegen auf. Verletzte ich ihre Regeln, glaubten sie, dass ich nicht vernunftbegabt sei. Sie betrieben Aufklärung, doch ich unterbrach sie:
    »Ich weiß.«
    Da hatten sie mir Zuflucht in der besten aller Welten geboten, und die undankbare Fremde verspottete ihre Weltanschauung.
    Im Sandkasten ermahnten sie ihre Sprösslinge:
    »Das ist nicht dein Eimerchen, gib es dem anderen Kind zurück. Spiel mit deinem Eimerchen, ich habe es für dich gekauft.«
    Drückte ein Kind sein Eimerchen an die Brust, sagten sie löblich:
    »Das Kind lernt mein von dein zu unterscheiden, es entwickelt sich prächtig.«
    Ich hatte gelernt, dem Egoismus keine Chance zu geben, zu teilen, stets für andere da zu sein, ihre Sorgen auf mich zu nehmen, fremdes Unglück für meines zu halten. Mischte ich mich hier in die Belange anderer ein, wurde ich nicht gelobt dafür, sondern zurückgewiesen:
    »Das ist nicht dein Problem.«
    »Alles, was geschieht, geht mich etwas an.«
    Da kam die merkwürdige Antwort:
    »Genieße dein eigenes Leben.«
    Wie anrüchig es klang! Kein Genuss konnte wichtiger sein als der heroische Kampf zum Wohl der Menschheit. Wie kleinlich, mich der Verschönerung meines Privatlebens zu widmen. Ich wollte nicht schrumpfen, ich hatte Großes vor. Was in unserer Diktatur ein Schimpfwort war, ein sanktionswürdiges Vergehen, verwandelte sich in eine demokratische Errungenschaft.
    »Ich bin Individualist, ich bin nicht wie die anderen«, sagte das ganze Land wie aus einem Mund.
    Ich war nicht auf ihre Art anders, ich war ein Gast vom Mond. Bei uns war alles durchlässig, die Türen der öffentlichen Toiletten ließen sich nicht schließen, wir waren nämlich ein einziger unteilbarer Körper. Und ich wurde von diesem Körper wegamputiert. Ein kleiner Finger hing lose im Weltraum. Äußerte ich meine Trauer, gab man mir zu verstehen, ich alleine sei schuld daran, dass ich nicht zurechtkam. Ich blieb störrisch und weigerte mich, in der Zwangsehe mit dem Gastland glücklich zu werden. Ein anderes Glück als ein verschmelzendes, teilendes kannte und wollte ich nicht.
    Eine Mitschülerin verdiente samstags ihr Taschengeld in einem Supermarkt.
    »Aber deine Eltern sind doch reich.«
    Sie staunte über meine ungebührliche Vermischung:
    »Sie schon, aber nicht ich. Ich muss lernen, selbst zu verdienen.«
    Sie vermisste nicht das unpädagogische, verschwenderische Geben. Armes Kind mit solchen Eltern, dachte ich, doch sie war stolz auf ihre Selbstständigkeit.
    Die Familie hüllt sich in geschwollene, beige Windjacken, die gegen Kälte schützen und Zusammenstöße abfedern sollen. Stäche man hinein, bliebe vom aufgeblasenen Schutz nur schrumplige Plastikhaut. Doch die Kälte und der Aufprall drohen nicht von außen. Die Blässe des Vaters stürzt in tiefe dunkle Augenringe ab. Das Gesicht der Mutter dagegen ist ebenmäßig, und keine Mimik stört diese Einöde. Das spröde Haar hängt wie verwittertes Gras aus einer Felsspalte. An ihrem Körper gibt es keine Erhebung, sie ist auch seelisch abgeflacht. Eine kühle, gemeißelte Gestalt. Ein Mädchen und ein Junge schnüren sich spielend mit einem Seil ein, wälzen sich auf dem Boden, plötzlich rennen sie schreiend durch die Büros des Familientherapeuten. Sie wähnen sich alleine in einer Leere, egal, wo sie gerade sind. Die vierköpfige Familie, eine blasse, puerile, schlaksige Seilschaft mit demselben halblangen blonden Haar. Hier führt niemand. Die einzige zielgerichtete Bewegung war die Ankunft im neuen Land.
    Mein ganzer Körper spannt sich, als wollte er unsichtbare Seile sprengen, die mich umwickelt haben. Die Familienstimmung hat sich wohl auf mich übertragen. Der Therapeut nimmt ebenfalls eine starre Haltung ein und sagt mit einer tragischen Stimme, die Kindergärtnerin habe den Staat einschalten müssen. Verdacht auf Prügel, Inzest? Nein. Die Kindergärtnerin bemängelte bloß das unpünktliche Erscheinen der Kinder, schickte Mahnun gen, bot die Eltern auf, sie kamen nicht. Wir sitzen am Tisch in einem Land, in dem der Mensch nach der Zuverlässigkeit gegenüber der Zeit beurteilt wird. Dort, wo die Familie herkommt, wird die Zeit vom stetigen Fließen aller Dinge umspült. Zwischenmenschliche Verträge ändern sich, geraten in den Strudel des Improvisierens, vage Ansätze zu Zukunftsplänen verkochen zu einer undefinierbaren Brühe.
    Auch in ihrer Wohnung rennen die Kinder herum, packen einen Klotz vom Boden, ein Rad,
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