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Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)

Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)
Autoren: Dean Koontz
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1.
    Um Mitternacht war es noch windstill, doch eine halbe Stunde später kam vom Golf her wie im leichten Galopp Regen über die Küste und die Dämme, wie Herden von Phantompferden, die auf Dächern aus Teerpappe, Wellblech, Ziegeln, Schindeln und Schiefer Hufrhythmen trommelten und durch die Alleen zogen.
    In New Orleans herrschte im Allgemeinen bis spät in die Nacht hinein reges Treiben, und in den Restaurants und den Jazzclubs ging es fast bis zur Frühstückszeit hoch her, doch in jener Nacht sah die Stadt sich gar nicht ähnlich. Auf den Straßen war so gut wie kein Verkehr unterwegs. Viele Restaurants schlossen früh. Da es an Kundschaft mangelte, wurde es auch in einigen der Clubs dunkel und still.
    Ein Orkan zog über den Golf hinweg, ein gutes Stück südlich der Küste von Louisiana. Der staatliche Wetterdienst sagte derzeit voraus, dass er in der Nähe von Brownsville, Texas, über Land ziehen würde, aber es konnte noch passieren, dass das Unwetter seinen Kurs änderte. Durch üble Erfahrungen hatte New Orleans gelernt, die Naturgewalten zu fürchten.
    Deucalion trat aus dem Luxe Lichtspieltheater, ohne eine Tür zu benutzen, und ein einziger Schritt führte ihn in einen anderen Bezirk der Stadt, aus dem Licht in die tiefen Schatten unter den Ästen moosbehangener Eichen.
    Im Schein der Straßenlaternen schimmerten die Regenschnüre wie angelaufenes Silber. Aber unter den Eichen
schien der Niederschlag pechschwarz zu sein, als handelte es sich nicht um Regen, sondern um ein Produkt der Dunkelheit, den ureigenen Schweiß der Nacht.
    Obwohl eine kunstvolle Tätowierung neugierige Menschen ablenkte, damit sie das Ausmaß der Schäden auf seiner zerstörten Gesichtshälfte nicht gleich wahrnahmen, zog Deucalion es vor, öffentliche Orte zwischen der Abenddämmerung und dem Morgengrauen aufzusuchen. Die Stunden ohne Tageslicht verliehen ihm einen weiteren Schleier zu seiner Tarnung.
    Seine imposante Größe und seine körperliche Kraft ließen sich nicht verbergen. Er hatte mehr als zweihundert Jahre überdauert, und doch bestand sein Körper aus ungebeugten Knochen und unverminderter Muskelmasse. Die Zeit ließ ihn nicht verfallen, denn das schien nicht in ihrer Macht zu stehen.
    Als er sich über den Bürgersteig bewegte, drang der Schein der Straßenlaternen an manchen Stellen durch den Baldachin aus Laub. Das unstete Licht ließ aus seiner Erinnerung den Pöbel mit den Fackeln auferstehen, der Deucalion auf einem fernen Kontinent durch eine kalte und trockene Nacht gehetzt hatte, in einem Zeitalter, als es noch keine Stromversorgung gegeben hatte.
    Auf einem großen Grundstück auf der anderen Straßenseite stand im Schatten von Eichen ein ehemaliges katholisches Krankenhaus, das den Namen Hände der Barmherzigkeit getragen, seine Pforten jedoch schon vor langer Zeit geschlossen hatte.
    Ein hoher schmiedeeiserner Zaun umgab das Krankenhausgelände. Die Speerspitzen der Stäbe wiesen daraufhin, dass dort, wo einst Barmherzigkeit zu erwarten stand, heute keine Spur mehr davon zu finden war.
    Ein Schild an dem eisernen Tor der Auffahrt warnte: PRI-VATES
LAGERHAUS. KEIN ZUTRITT. Aus den mit Backsteinen zugemauerten Fenstern drang kein Licht.
    Mit Blick auf den Haupteingang war eine Statue der Jungfrau Maria aufgestellt. Die Scheinwerfer, die einst auf sie gerichtet gewesen waren, waren entfernt worden, und die Gestalt in dem Umhang, die dort in der Dunkelheit aufragte, hätte der Tod oder sonst jemand sein können.
    Erst vor wenigen Stunden hatte Deucalion erfahren, dass in diesem Gebäude das Laboratorium seines Schöpfers untergebracht war, Victor Helios, dessen einstiger Name legendär war: Frankenstein. Hier wurden Angehörige der Neuen Rasse entworfen, erschaffen und programmiert.
    Man konnte davon ausgehen, dass jede Tür von Kameras überwacht wurde. Die Schlösser würden größten Widerstand leisten.
    Dank der Gaben, die ihm durch den Blitzstrahl verliehen worden waren, der ihn in einem früheren und erheblich primitiveren Labor zum Leben erweckt hatte, brauchte Deucalion keine Türen. Schlösser stellten kein Hindernis für ihn dar. Intuitiv erfasste er die Quantenstruktur des Universums, darunter auch die Wahrheit, dass auf der tiefsten strukturellen Ebene jeder Ort auf Erden ein und derselbe Ort ist.
    Als er erwog, sich in den derzeitigen Schlupfwinkel seines Schöpfers zu wagen, verspürte Deucalion keine Furcht. Wenn irgendein Gefühl ihm zum Verhängnis werden konnte, dann wäre es die Wut.
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