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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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Küchenboden ausbreitet, das Haus verlässt und sich über das Land wälzt, immer weiter, kannte hier niemand. Die Einheimischen mochten Schauergeschichten über unser Unrechtsregime, davon bekamen sie samtene Augen. Sie würden mich gar in die Arme nehmen, aber das gestatteten sie sich nicht. Der Körper war Privatbesitz hinter einem unsichtbaren eisernen Vorhang.
    Mara sagte:
    »Sie müssen zuerst einen Pass beantragen, um mit der Hand über eine Wange streichen zu dürfen.«
    Ich wollte sie von ihrem Fluch erlösen, ging auf sie zu, da zuckten sie zusammen:
    »Wie schrecklich du gelebt hast, du Arme, bei uns hast du es gut«, und sie reichten mir zum Abschied die Hand.
    Keine Waschmaschine wusch mein altes Ich so rein, dass ich ein unbeflecktes Leben beginnen könnte. Dankbar sollte ich sein, hier leben zu dürfen. Und stets pünktlich. Wem und wofür sollte ich pünktlich dankbar sein, dass es mir in der besseren Welt so schlecht ging? Zuhause ist dort, wo man motzen darf, und ich hatte kein Zuhause.
    Frühmorgens vor der Schule verteilte ich Zeitungen, warf sie vor die Türen der Villen, summte zum Rattern des Wägelchens, zum Takt meiner ersten Arbeit. Bücken sollte ich mich, die Zeitungen behutsam auf die Türschwellen legen, leise auftreten, unauffällig gekleidet sein, schließlich stünde ich auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter, die Rollen sollten nicht durcheinander geraten, sie seien hier über Jahrhunderte gewachsen und hätten sich bewährt, ermahnte mich der Chef. Er lachte selbst über seine unrevolutionären Worte und bedauerte, dass dies eben der Lauf der Welt sei. Ich ging weiterhin im Morgengrauen aufrecht hinter dem Wägelchen, die Haare offen, während sich die Klagen der Villenbewohner im Büro des Chefs stapelten.
    »Entweder Sie binden sich die Haare fest, oder ich muss Sie von Ihrer Aufgabe entbinden.«
    Ich blieb ungebunden. Meine Haare sollten fließen, sich über die Schultern ausbreiten, dicht und lockig waren sie, ich kämmte sie morgens am Fenster. Bewundernde Blicke würden sie anlocken. Doch jemand hatte meine Haarbüschel im Hof eingesammelt und mir die Botschaft in Toilettenpapier eingewickelt in den Briefkasten gestopft. Kein Besitz waren sie, nur Schmutz, den man die Toilette hinunterspült. Und kein Wort im Briefkasten. Das leichte Päckchen war Sprache genug, es wog schwer. Es war drückend ruhig, und schwarz schimmerten die ordentlich zugebundenen Abfallsäcke. Schon sah ich mich entsorgt darin. Auch frische Laubpracht galt als Schmutz. Gierige lärmende Staubsauger kurvten herum und verschluckten die raschelnde Vertrautheit.
    Im verletzbaren Dauerzustand trug ich das Weinen zuvorderst, es fiel bei jedem Stolpern hinaus. Die Tat eines einzigen Menschen verstieß mich aus dem Kosmos. Nichts als abhauen wollte ich aus der gefegten Leere, wo man mich maßregelte, und zurückkehren zu den Gehsteigen meiner Stadt, auf denen Müll herumlag. Zuhause war dort, wo es bekannte Lebensspuren gab. Ihr Gestank wurde in der Fremde zum Duft der Heimat und der Freiheit.
    An der Blässe und den unscharfen Körperformen erkenne ich, dass die junge Frau schon seit Wochen im Gefängnis ist. Im reglosen Körper rasen die Gedanken. Sie zittert in Schüben, und ihre kleinen blauen Augen glänzen wie eine Pfütze im Brunnenschacht. Sie sind ausgeweint. Sie versteht ihre Schuld nicht, die Gedanken stoßen an eine Grenze. Sie habe von morgens bis abends in fremden Haushalten geputzt, sei stets arbeitsam und gehorsam gewesen. Als ihr Freund sie gebeten habe, Päckchen in ein anderes Land zu bringen, habe sie es getan, aus reiner Herzensgüte. Sie beugt sich vor, macht mit den Händen eine Drehung, als würde sie ihr Herz abermals ausleeren. Sie habe für solche Dienste kein Geld bekommen, sie sei eben hilfsbereit, könne niemandem etwas abschlagen und schon gar nicht ihm, der so gut zu ihr gewesen sei.
    In ihrer Kindheit habe sie Not gekannt, und dieser Mann habe ihr geholfen auszureisen und ihr genau die Jeans gekauft, die sie haben wollte, er habe nie auf den Preis geschaut. So jemand sei ihr noch nie begegnet, ein Mann mit Kultur, aber verschlossen. Sie wurde nicht schlau aus ihm. Als vor drei Monaten fünfzehn Polizisten die Wohnung stürmten, begriff sie, dass sie die Braut eines Drogenbarons war. Sie richteten entsicherte Gewehre auf sie, während er schon über alle Berge war. Sie sitzt auf dem schlichten Angeklagtenstuhl, reibt sich die schwitzenden Hände.
    »Ich helfe Ihnen gerne,
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