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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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drei Parfüms ist noch kein Grund, Sie im Gefängnis zu behalten.«
    »Ich halte es nicht mehr aus, habe Schüttelfrost, der Blutdruck steigt, schon seit zwei Tagen bin ich ohne Stoff.«
    »Wie oft müssen Sie ihn nehmen?«
    »Alle vier, fünf Stunden, hier ist das Heroin verschmutzt, seine Wirkung hält nicht lange an. In meiner Heimat ist es so rein. Ein Gramm reicht für zwei Wochen.«
    Es klingt nach Patriotismus, der Angeklagte bekommt ein verklärtes Gesicht.
    Als die Glocke läutet, treten wir in den Gerichtssaal.
    »Ich bitte das Gericht und Eurer Land um Verzeihung. Ich war irregeleitet und verspreche, nie mehr zu stehlen, Ehrenwort.«
    Ich schmücke seine Rede aus, füge »verehrtes Gericht« und »Eurer wunderbares Land« hinzu, und beim »Ehrenwort« stolpert meine Stimme vor Rührung. Das fremdartige Pathos weckt jedoch Misstrauen. Nur der Anwalt lauscht dem fremden Sprachklang wohlwollend und hält eine feurige Verteidigungsrede.
    Im Dolmetschervertrag steht, dass wir verpflichtet sind, das Gesagte gewissenhaft wiederzugeben. Für vorsätzlich falsches Übersetzen gibt es eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Und pünktlich sollen wir sein und gepflegt aussehen. Aber ich bin zu zerzaust für diese frisierte Aufgabe. Das Schicksal des anderen treibt mich ans offene Meer, und der Wind rupft an meinen Gefühlen und Gedanken.
    Im Gang bittet der Angeklagte, rauchen zu dürfen.
    »Wir sind nicht so«, sagt der Polizist und raucht mit.
    »Ich hasse die Dealer«, erzählt der junge Mann. »Am Bahnhof sitzt einer, spielt mit der Zunge; das bedeutet: Ich habe Kokain. Den Hals könnte ich ihm umdrehen.«
    »Aber das ist bloß Ihre fixe Idee«, versuche ich ihn zu therapieren.
    »Ja, einen Willen muss man haben, aber die Droge vernichtet den Willen. Früher habe ich geboxt, wog hundert Kilo. Wenn ich heute nicht freikomme, steht mir eine schlimme Nacht ohne Stoff bevor. Viele sind an der eigenen Zunge erstickt.«
    Der Angeklagte spricht von der Droge mit Achtung und Hass, sie ist ihm Feind und Freund, Vater und Mutter, Himmel und Hölle und das Leben selbst. Er hat bei sich nichts anderes entdeckt als seinen Körper, den er der Droge schenkt, damit sie ihn vernichtet. Als Gesprächsstoff bietet er Prahlereien über das heldenhafte Ertragen der Vernichtung an.
    »Sein Problem ist der Selbsthass. Darum geht es, und nicht um Gefängnis oder Freilassung. Wie könnte er lernen, sich selbst zu lieben?«, frage ich verträumt, doch der Anwalt fordert mich ungeduldig auf, lediglich zu dolmetschen.
    »Sie haben einen Asylantrag gestellt mit der Begründung, in Ihrem Land sei Krieg. Was für einen Krieg meinen Sie?«
    »Das Schlimme ist, dass dort eine Heroinfabrik steht«, sagt der Angeklagte und raucht mit geschlossenen Augen, bis die Glocke läutet.
    »Vier Wochen Untersuchungshaft, danach Ausschaffungshaft und Ausschaffung.«
    Der Richter bemüht sich, das Urteil unbeteiligt vorzutragen. Der Polizist lebt auf und führt den Gefangenen ab.
    »Nur weil er Ausländer ist, wurde er eingelocht, so kriminalisiert man Menschen, jeder hat doch das Recht, mit seinem Körper zu machen, was er will«, empört sich der Anwalt, der nun aussieht, als hätte man ihn geohrfeigt,
    die Haarlöckchen legen sich flach über seine Ohren.
    Der Richter sagt zerknirscht:
    »Ich konnte ihn nicht freilassen. Er braucht das Heroin, und bald sitzt er wieder auf der Anklagebank.«
    Mein Name gehörte mir nicht mehr. Stotternd sprach man ihn aus, falsch klang er, schwerfällig. Ein stetiger Anlass, mich unpassend zu fühlen. Und meine Sprechweise in der neuen Sprache war verdächtig zerklüftet. Ein Fehler geschah, ein Loch tat sich auf. Die Einheimischen mochten geglättete Verhältnisse, zubetonierte Löcher.
    Der Lehrer lockte:
    »Pass dich an. Stell dir vor, du gehst auf der Straße und alle denken, du seiest von hier.«
    Doch ich wusste: Mein flaches Mondgesicht würde mich verraten. Und wenn schon. Ich wollte es nicht in die Länge pressen und mich hier als Weizenkorn verwurzeln.
    Die Wiesen waren zerstückelt durch stromgeladene Zäune, Kühe weideten hinter Privat-Schildern. Bei uns gab es weite Felder bis zum Todesstreifen. Die hiesigen Weiher gehörten nicht uns allen, auch Fische waren private Dinge. Wo könnte ich losrennen bis zur Sonne und bis zum Umfallen privatlos schreien? Grenzen überschreitende Gefühle standen im Verdacht, den Privatbesitz enteignen zu wollen. Das Märchen vom Wundertopf mit Brei, der überkocht, sich über den
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