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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde
Autoren: Irena Brezna
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dafür, dass er nichts gegen das Unrecht, das unserem Land widerfahren war, tun konnte, und war bodenlos beschämt, dass sich Mama über seine Möbel freute. Obwohl er aufgewühlt war, wahrte er das Maß und erniedrigte uns nicht mit Spottpreisen. Ich hatte nicht gewusst, dass es eine so anständige Scham geben kann, und sie war es, die uns inmitten dieses bürgerlichen Gerümpels in der Fremde willkommen hieß. Wie es sich bei Begrüßungszeremonien gehört, kam ein Geschenk dazu. Als ich nach dem Preis eines roten Kelims fragte, hob der Mann diesen sanft wie ein Neugeborenes vom Boden auf und sagte:
    »Der gehört dir.«
    Er tat es, ohne zu seufzen und ohne mir einen triefenden Kuss auf die Stirn zu drücken. So lernte ich, dass gute Gefühle hier getarnt und geräuschlos wie Partisanen unterwegs waren. Abends legte ich mich auf den Kelim und weinte. Von da an besuchte mich das Weinen einmal wöchentlich, ich öffnete ihm die Tür, und wir blieben die Nacht zusammen. In einer dieser Nächte fand ich heraus, dass ich reich war, ich besaß etwas, was dem sich schämenden Mann fehlte: Ich hatte ein tragisches Schicksal. Ich musste mich weder sorgen, es zu verlieren, noch um seine Wertsteigerung bemüht sein. Ein tragisches Schicksal war ein stabiler Besitz. Jene, die nur kleine Unglücke kannten, regten sich über allerlei Kleinkram auf.
    Es drohten keine Versorgungsengpässe, Waschmaschinen, Autos und Putzmittel standen zur Verfügung, und Mutter gelangte zur Überzeugung, wir seien glücklich.
    »Was hast du, Griesgram, lach doch mal«, ärgerte sie sich über mich.
    Seit ich meine weite Haut der Gemeinschaft verloren hatte, hüllte ich mich in enges Selbstmitleid, verkroch mich im Groll gegen das Unvertraute. Ich fühlte mich wie ein Ding, das Mutter in ein fremdes Haus gestellt hatte, wie eine unmündige Braut, hundert Jahre zurückgeworfen, verheiratet an ein Land wie an einen strengen, alten Mann. Ihn lieben und achten sollte ich, mich mit ihm ein Leben lang vertragen. Verraten wurde ich, in allem, was den Menschen ausmacht. Mutter hatte mir nicht hundert Prinzen vorgeführt, mich nicht gefragt: »Wen willst du?« Und: »Magst du überhaupt heiraten?«
    Sie sagte entschlossen:
    »Hier gibt es keine Unterdrückung.«
    Für mich war mein Land verspielte Muttersprache gewesen, Lachen mit meinen Freundinnen, selbstverständliche Zugehörigkeit, ein warmer Strom, der mich getragen hatte. Ich hatte Kiemen gehabt, und auf einmal wurde ich ans Ufer geworfen, hörte das Wachsen der Lungen, und jeder Atemzug schmerzte. Der Bruder verprügelte mich weiter, als lebten wir nicht in einer humanen Gesellschaft. Ich zog aus.
    Die Welt war in »Ich« und »Das fremde Land« zerbrochen. Ich nannte es »mein Mann«. Wenn ich »meinen Mann« anschaute, sah ich, was er nicht sah. Er hatte kein Mondgesicht, sein Gesicht war ein Weizenkorn, länglich und hart. Ich konnte mich darin nicht ausruhen. Er war damit beschäftigt zu keimen, zu sprießen, zu reifen, bis zur nächsten und übernächsten und überübernächsten Ernte. Wie schlief dieses Gesicht? Ich wollte es in die Hände nehmen und glätten, aber es machte mir Angst. Aus seinen Worten schlüpften sogleich Taten heraus. Kam eine Idee auf, ließ er sie nicht schweben, sie war kein Luftballon, dem man zuschaut, sogleich hat er sie gepackt, auf den Boden gezogen und einem Plan unterworfen. Uhrzeit, Ortsbestimmung, Ablauf, Absicherung gegen Zufall . Um hier heimisch zu werden, meinte ich, »meinen Mann« zu den alten Menschen machen zu müssen, die lieber Episoden erzählten und Träumen nachhingen als handelten. Diese Aufgabe türmte sich vor mir auf wie die unverrückbaren Schneegipfel, die an klaren Tagen in der Ferne auftauchten.
    Der Gefangenenwagen mit verdunkelten Fenstern fährt in den Hof ein. Ich steige die Treppen hoch, im Warteraum blättere ich in Boulevardzeitschriften, die das einzig Farbige in dieser Einrichtung sind, lese flüchtig eine Mordgeschichte, bis ein gut gelaunter Polizist erscheint.
    »Was ist es für ein Fall?«
    »Organisiertes Verbrechen. Die kommen hierher, um zu stehlen. Bei uns ist kein Selbstbedienungsladen.«
    Der junge Angeklagte schwankt herein, verdreht die Augen, zittert und deckt mit der Schafspelzjacke seinen eingefallenen Brustkasten zu.
    »Ich bin auf Entzug. Werde ich freigelassen?«
    Der Anwalt stiert mit weit aufgerissenen hellblauen Augen in die Akte. Seine braunen Haarlöckchen richten sich auf vor Aufregung.
    »Der Diebstahl von
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