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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen
Autoren: Jörg Kastner
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schweißnasse Antlitz sehen konnte. Die Wut, die er in Dircks’ Blick las, wog nichts gegen den Schmerz. Kein Zweifel, die Peitsche hatte den Willen des Mannes gebrochen.
    »Ich habe den Eindruck, du willst jetzt reden. Oder?«
    Dircks atmete schwer, und seine Lippen zitterten; Blut quoll aus der Unterlippe, auf die er sich vor Schmerz gebissen hatte. »Was bleibt mir übrig? Sonst schlägt Euer Büttel mich in Fetzen. Was wollt Ihr wissen?«
    »Ich will ein Geständnis, Kuppler. Ich glaube dir nicht, daß du heute abend zum ersten Mal einen Freier beraubt hast. Der geheime Zugang zu dem Zimmer – das ist viel zu viel Aufwand für eine einmalige Geschichte.«
    Noch immer war es Katoen ein Rätsel, wie der Junge, den er Felix genannt hatte, sich da hatte durchzwängen können. Er hatte den Schacht in Augenschein genommen, soweit das von den beiden Zugängen her möglich war, und hätte schwören können, daß selbst dieser magere Junge da nicht hindurchpaßte.
    »Also gut, ich gebe es zu. Es war nicht das erste Mal.«
    »Sondern?«
    »Ich habe nicht mitgezählt. Neun oder zehn Männer haben es wohl mit Dela getrieben, seit mir das Schlangenkind gehört.«
    »Das Schlangenkind?«
    »Der Junge.«
    »Wie ist sein Name?«
    »Keine Ahnung, ist doch auch gleichgültig. Der alte Schausteller, von dem ich ihn gekauft habe, hat ihn Schlangenkind genannt, weil er sich winden kann wie eine Schlange. Der kommt überall durch, so was habe ich vorher noch nie gesehen.«
    »Und das hat dich auf die Idee gebracht, nicht nur die Dicke Dela zu verkuppeln, sondern ihren Freiern gleich das ganze Geld abzunehmen. Und wenn einer seine Börse vermißt hat, konnte er Dela und dich ruhig durchsuchen. Ihr beide hattet nichts zu befürchten.«
    »Ja, genau so.« Dircks verzog seinen Mund zu einem unangemessen wirkenden Grinsen. »Vielen Dank auch, Herr Amtsinspektor.«
    »Wofür?«
    »Wie ich hörte, habt Ihr einen Eurer eigenen Hunde erschossen, um den Jungen zu retten. Dafür bin ich Euch dankbar, der dreckige kleine Bengel hat mich nämlich fünfeinhalb Gulden gekostet.«
    »Ich wette, er hat dir ein Vielfaches davon eingebracht.« Das Flackern in den Augen des Gefangenen bestätigte Katoen in seiner Vermutung. »Nun, damit ist es vorbei, Dircks. Der Junge untersteht ab sofort der Obhut der Obrigkeit.«
    »Der Obhut der Obrigkeit?« Dircks wiederholte das ganz langsam. »Was heißt das?«
    »Ich habe ihn ins Waisenhaus gebracht.«
    Katoen wurde den Anblick des Jungen beim Abschied nicht los. Seit der Hund ihn angefallen hatte, war Felix stumm geblieben. Widerstandslos hatte er sich zum Waisenhaus bringen lassen, aber als Katoen sich zum Gehen wandte, hatte der Junge ihn angeschaut wie ein Ertrinkender die ausgestreckte Hand eines Retters. Er würde es vielleicht schwer haben in der ersten Zeit, aber im Waisenhaus war er hundertmal besser aufgehoben als bei Dircks oder im Rasphuis, dem Amsterdamer Zuchthaus für Männer und Jungen.
    »Dazu hattet Ihr kein Recht!« krächzte Dircks. »Das Schlangenkind gehört mir!«
    »Du willst deine schmutzigen Geschäfte mit dem Jungen wohl lustig weiterführen, was?«
    Dircks wollte ihm etwas an den Kopf werfen, Widerworte oder eine Beschimpfung, wie sein Mienenspiel verriet, besann sich dann aber und sagte ruhig, nicht ohne einen beißenden Unterton: »Nein, natürlich nicht, ich bin doch ein reuiger Sünder.«
    Diese Dreistigkeit trug ihm einen weiteren Peitschenhieb ein, und Katoen hatte nichts dagegen, daß sein Büttel das Leder schwang. Solches Gesindel verdiente keine Rücksicht. Aber der Schmerz würde vergehen und, so befürchtete der Amtsinspektor, keinen dauerhaften Eindruck bei dem Kuppler hinterlassen.
    Katoen legte Kampen eine Hand auf die Schulter. »Wir können jetzt Schluß machen und uns etwas Schlaf gönnen. Die Nacht ist bald vorbei.« Zu Dircks gewandt, sagte er: »Und du vergiß nicht, dein Geständnis morgen vor dem Richter zu wiederholen!«
    Dircks bedachte ihn mit einem Blick, der zu sagen schien: Dir wünsch ich alle Übel dieser Welt an den Hals.

K APITEL 2
    Der Tote an der Zuiderkerk
    D IENSTAG , 9. M AI 1671
    E s war ein Fehler gewesen, erst noch seine Amtsstube im Rathaus aufzusuchen und dort mit Jan Dekkert etwas von dem Heidelbeerschnaps zu trinken, den er letzte Woche aus Utrecht mitgebracht hatte. Als Joris Kampen eintrat und ganz entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten den angebotenen Trunk ablehnte, fragte Katoen sich augenblicklich, ob er in dieser Nacht noch Schlaf
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