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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen
Autoren: Jörg Kastner
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Dabei rannte er den Mann mit der Laterne einfach über den Haufen. Er streifte auch Katoen, und das mit solcher Wucht, daß der Inspektor ins Taumeln geriet.
    Ein weiter Sprung, und der Hund landete auf dem Jungen und riß ihn mit sich zu Boden. Sie überschlugen sich, und es sah nach einem Ringkampf aus. Aber der Junge hatte der Bestie nichts entgegenzusetzen. Das Tier drückte ihn zu Boden und öffnete sein geiferndes Maul, um ihm den Hals zu zerfetzen. Katoen riß die Pistole hoch, hielt sie mit beiden Händen und feuerte beide Läufe gleichzeitig ab.
    Die doppelte Explosion war längst verhallt, als der Pulverrauch ihm noch Tränen in die Augen trieb. Er fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht und schaute genauer hin. Vor ihm lagen zwei reglose Gestalten, der Junge und der Hund. Das Blei aus Katoens Pistole, aus solcher Nähe abgefeuert, hatte den Hundeschädel in unzählige Teile zerlegt. Überall klebten Fetzen von Fell und Knochen, auch auf dem nackten Leib des Jungen, der erneut zu zittern begann. Immerhin, dachte Katoen, er lebt!
    Er reichte die abgeschossene Pistole Kampen, der mit offenem Mund dastand, und half dem Jungen auf die Beine. Der hatte jetzt, besudelt mit dem Blut und den Überresten des toten Hundes, noch mehr Ähnlichkeit mit einem wilden Tier. Katoen schickte einen der Nachtwächter ins Haus, aus irgendeinem Zimmer eine Decke holen. Wenig später kam der Mann mit einem löchrigen Wollfetzen zurück, den Katoen um die schmalen Schultern des Knaben legte.
    Der Nachtwächter, der ursprünglich den Hund an der Leine gehalten hatte, schien nur langsam zu begreifen, was geschehen war. Er trat ein paar Schritte vor und starrte mit aufgerissenen Augen auf die traurigen Überreste des Tieres. Sein anfängliches Entsetzen verwandelte sich in Wut, und er fuhr Katoen an: »Wie konntet Ihr das tun? Ihr habt ihn einfach erschossen, meinen Hans!«
    »Der Hund hätte den Jungen zerfleischt.«
    »Na und? Mein Hans war ein wertvolles Tier, viel wertvoller als dieser Gossenjunge. Der ist doch auch nicht mehr als ein Tier!«
    Das Kind ließ nicht erkennen, ob es sich von den Worten des Nachtwächters getroffen fühlte. Vermutlich hatte es in seinem kurzen Leben schon ganz andere Beschimpfungen über sich ergehen lassen.
    »Dies ist ein Mensch«, erwiderte Katoen, »Euer Hans dagegen war ein Tier, ein gefährliches obendrein. Ihr hättet besser auf ihn aufpassen müssen, Mann! Soll ich einen Bericht darüber schreiben, daß der Hund sich aufgrund Eurer Nachlässigkeit losreißen konnte und erschossen werden mußte?«
    Katoen war laut geworden, und der Nachtwächter wich unter seinen Worten zurück wie unter Peitschenhieben.
    »Nein, schon gut«, sagte er kleinlaut und ging zu seinen Kameraden zurück.
    Katoen beachtete ihn nicht weiter und wandte sich wieder dem Jungen zu, der noch immer am ganzen Leib zitterte. »Wie heißt du?«
    Die Augen unter dem verfilzten Haar musterten den Amtsinspektor mit einer Mischung aus Furcht und Ratlosigkeit; es schien, als wüßte das Kind seinen eigenen Namen nicht. Zweimal wiederholte Katoen seine Frage, doch er erhielt keine Antwort. War der Junge nur so verängstigt, daß es ihm die Sprache verschlagen hatte, oder konnte es tatsächlich sein, daß er nicht wußte, wer er war?
    Katoen, der vor dem Jungen in die Hocke gegangen war, erhob sich seufzend. »Also gut, dann werde ich dich Felix nennen. Felix, der Glückliche. Denn heute hast du Glück gehabt, wie mir scheint, und ich hoffe, daß dir glücklichere Zeiten bevorstehen, als du wohl hinter dir hast.«
    Im Keller unter dem Neuen Rathaus roch es nach Schweiß und Exkrementen, nach Verderbnis und Furcht. Schon viele hatten hier ihre Untaten gestanden, und Jaepke Dircks würde keine Ausnahme machen, da war Jeremias Katoen sicher. Joris Kampen holte zum nächsten Schlag aus, das Leder zischte kurz durch die Luft und fraß sich mit einem klatschenden Geräusch in das Fleisch des Kupplers. Ein blutiger Striemen mehr auf seinem Rücken, und Dircks schrie auf, während er sich vor Schmerz wand.
    Das Amsterdamer Recht erlaubte zwar nur, bereits Verurteilte auszupeitschen, aber hier unten nahm das niemand so genau. Die Peitsche war oft das einzige Mittel, einen verstockten Strolch zum Reden zu bringen. Jeder wußte das, und niemand störte sich daran. Nicht von ungefähr wurde dieser Ort gemeinhin Geißelkeller genannt.
    Katoen packte den Gefangenen bei seinem hellen Schopf und zog seinen Kopf unsanft nach hinten, bis er in das
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