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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen
Autoren: Jörg Kastner
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›Verehrer der Tulpe‹, die sich jeden Montagabend bei ihm trafen.
    Während de Koning den Weg zum Dam einschlug, beglückwünschte er sich dazu, einen Vater gehabt zu haben, dessen gesunder Geschäftssinn nie von ungesunder Gier nach immer noch mehr Reichtum verdrängt worden war. Er selbst war diesem Vorbild gefolgt, und so hatten die de Konings ihr Bankhaus allmählich vergrößern können. Jetzt gehörte es zu den fünf, sechs einflußreichsten der gesamten Niederlande. Er besaß Macht und Einfluß, aber er war sich auch seiner Verantwortung bewußt – für die junge Republik und die Menschen, die in ihr lebten. Es war sein Land, und Amsterdam war seine Stadt.
    Mit Wohlgefallen ließ er seinen Blick über die schmalen Backsteinfassaden der Kaufmannshäuser gleiten, die wie die Perlen einer Kette die Grachten säumten. Hier wurde von Sonnenauf-bis Sonnenuntergang der Wohlstand Amsterdams erwirtschaftet, wurden Güter auf Schleppkähne verladen, Geschäfte besiegelt, ungeduldig Nachrichten über die Schiffe erwartet, auf denen die Waren der Amsterdamer Kaufleute um die halbe Welt reisten. Manches Schiff kehrte nicht zurück, verloren im Sturm, an aufsässige Eingeborene oder englische Piraten, aber das Risiko blieb kalkulierbar, besonders für den, der seine Mittel streute und nicht – wie damals die vom Tulpenwahn Verblendeten – alles auf ein einziges Geschäft setzte.
    Den ganzen Tag lang waren die Menschen fleißig, abends erholten sie sich bei Bier und Tabak, bei Musik und Tanz. Balthasar de Koning hatte nichts dagegen, solange sich die Vergnügungen in einem vernünftigen Rahmen hielten. Konnten die Menschen für ein paar Abendstunden die Mühen des Tages vergessen, fiel ihnen das Aufstehen am nächsten Morgen nicht so schwer. Deshalb schmunzelte er nur, als ihm auf der Brücke vor der Zuiderkerk ein paar Angetrunkene begegneten, die inbrünstig, wenn auch in den verschiedensten Tonlagen, ein Lied über die Seefahrt und die Segnungen ferner Gestade schmetterten.
    Er blieb stehen, um die wackeren Sänger vorüberzulassen, und setzte dann seinen Weg fort. Am Fuß der Brücke aber hielt er erneut inne, denn dort stand im Schatten eines Mauervorsprungs eine Gestalt, gerade so, daß sie vor dem Licht der Straßenlaternen verborgen blieb. Ob das Zufall oder Absicht war, vermochte er nicht zu sagen, gab es in Amsterdam doch leider allerlei lichtscheues Gesindel. Während er noch überlegte, ob es ratsam war, lauthals nach der Nachtwache zu rufen, kam Bewegung in die Gestalt, und sie trat vor ihn ins Licht.
    Erleichtert stellte de Koning fest, daß er es nicht mit einem finsteren Straßenräuber, sondern mit einer Frau zu tun hatte, die zum Schutz gegen den Wind ein Tuch um ihr Haupt geschlungen hatte. Wollte sich hier eine Nachtläuferin an ihn heranmachen, ihm im Tausch gegen ein paar Stüber ihren Leib anbieten? Doch dann fiel sein Blick auf das lange Messer, das an ihrem Gürtel hing, ein Messer von der Art, wie ehrbare Frauen sie beim Einkauf auf dem Markt dabeihatten, um sich die jeweils benötigte Menge Käse oder Butter abzuschneiden.
    »Verzeiht, Mijnheer«, hob die Frau schüchtern an. »Vielleicht könnt Ihr mir helfen. Ich habe mich verlaufen, und diese Betrunkenen eben mochte ich nicht ansprechen.«
    De Koning nickte verständnisvoll, doch dann runzelte er zweifelnd die Stirn. »Ihr habt Euch verlaufen, Mevrouw? Aber Ihr steht geradewegs neben der Zuiderkerk! Von hier aus sollte jeder Bürger Amsterdams seinen Weg finden.«
    »Das mag sein, doch es nützt mir nichts, weil ich fremd bin in Amsterdam. Ich besuche hier meinen Bruder, um seine kranke Frau zu pflegen und mich um die Kinder zu kümmern, bis die Schwägerin wieder auf den Beinen ist.«
    »Und wo müßt Ihr hin?«
    »Zum Dam.«
    De Koning hob den rechten Arm und zeigte in die Richtung, in die er ohnehin wollte. »Wir haben denselben Weg. Erlaubt also, daß ich Euch begleite.«
    Die Frau lächelte. »Das wäre mir eine große Hilfe. So ganz wohl ist mir zu dieser späten Stunde nicht, mutterseelenallein in einer fremden Stadt.«
    »Jetzt seid Ihr nicht länger allein, Mevrouw. Mein Name ist Balthasar de Koning.«
    Er verbeugte sich leicht, und als er sich wieder aufrichtete, sah er dicht vor sich die Klinge ihres Messers aufblitzen.
    »Ich weiß, wie Ihr heißt«, sagte die Frau mit seltsam veränderter Stimme und rammte ihm das Messer tief in die Brust.

K APITEL 1
    Das Labyrinth bei Nacht
    D as Labyrinth war niemals still, nicht einmal in
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