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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen
Autoren: Jörg Kastner
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selben Moment öffnete Jaepke Dircks die Tür des Nachbarzimmers.
    Er staunte nicht schlecht, als er in vier Pistolenläufe blickte, stellte sich aber rasch auf die neue Situation ein und zwang sich sogar zu einem Lächeln. »Oh, bin ich etwa in fremdem Revier unterwegs, Freunde? Seid gewiß, daß ich euch nicht zu nahe treten wollte. Wir können uns sicher einig werden.«
    Seine rechte Hand glitt in eine Tasche des dunklen Wamses.
    »Laß die Hand, wo sie ist!« befahl Katoen. »Sonst schieße ich sie dir in Fetzen!«
    Dircks lächelte noch immer, aber ein heftiges Zucken in seinen Augenwinkeln verriet, wie angespannt er wirklich war. »Ihr mißversteht mich, Freunde. Ich wollte meine Börse hervorziehen, um meine Einnahmen mit euch zu teilen. Ich wußte nicht, daß dieses Gebiet schon besetzt ist. Wenn ich’s mir recht überlege, könnt ihr auch alles haben. Als kleine Entschädigung für den Ärger, den ihr durch mich hattet.«
    »Wir sind nicht deine Freunde«, knurrte Katoen. »Ich bin Inspektor Jeremias Katoen, Beauftragter des Amtsrichters von Amsterdam, und das ist mein Büttel Jan Dekkert.«
    »Trotzdem könnt ihr meine Einnahmen haben, und ich lege sogar noch was drauf. Ich weiß doch, daß die Leute des Amtsrichters nicht gerade üppig bezahlt werden.«
    Dircks zeigte mit dem Daumen auf die Nachtläuferin, die, eine Brust noch immer entblößt, hinter ihn getreten war und mit jedem Atemzug eine Wolke billigen Fusels ausstieß. »Wenn ihr wollt, könnt ihr euch auch mit der Dicken Dela vergnügen, ganz umsonst. Einer nach dem anderen oder beide zugleich, wie es euch beliebt.«
    »Was sind ‘n das für Kerle?« fragte Dela. »Noch mehr Arbeit diese Nacht?«
    »Schnauze!« fuhr der Kuppler sie an.
    Katoen nahm Dekkert die doppelläufige Radschloßpistole ab, und der junge Büttel legte den beiden eiserne Handfesseln an, wobei er Dircks’ rechte an Delas linke Hand schloß. Anschließend durchsuchte er sie und zog einen Dolch mit langer, spitz zulaufender Klinge aus Dircks’ Stiefelschaft. Außerdem nahm er die gut gefüllte Börse des Kupplers an sich, bevor Katoen ihm die Pistole zurückgab.
    Der Freier war durch den Lärm geweckt worden. Er rieb mit dem Unterarm über seine Augen und wälzte sich stöhnend aus dem Bett. Da er nicht an seine heruntergezogene Hose dachte, brachten ihn die ersten Schritte zu Fall. Er fluchte laut, rappelte sich auf und zog die Hose hoch. Katoen schätzte ihn auf fünfundvierzig bis fünfzig. Vermutlich warteten zu Hause eine Frau und eine Horde Kinder auf ihn. Die Augen des Mannes verengten sich zu Schlitzen, während er die Situation zu erfassen versuchte.
    Bevor er noch eine Frage herausbrachte, erklärte Katoen: »Man hat Euch bestohlen, Mijnheer, Eure Börse ist weg.« Mit der linken Hand deutete er auf das traurige Hurenzimmer. »Das hier ist eine Falle.«
    Jetzt schien der Mann hellwach zu sein. Hastig tastete er sein Wams und die Weste nach der Börse ab.
    »Vielleicht kann ich Euch Euer Geld wiederbeschaffen«, fuhr Katoen fort. »Wartet hier!«
    Während Dekkert bei den Gefangenen und dem bestohlenen Freier blieb, verließ Katoen das Haus. Viele Zimmertüren, die bei dem Lärm einen Spaltbreit geöffnet worden waren, wurden rasch geschlossen, als er an ihnen vorbeiging. Hier gab es noch mehr lichtscheues Gesindel und wohl auch manch braven Bürger auf Abwegen, und niemand legte Wert darauf, dem Amtsinspektor zu begegnen.
    Draußen in der engen Gasse wurde die salzige Brise, die landeinwärts blies, überlagert von den Gerüchen des Unrats von Mensch und Tier. Das Labyrinth war eine der übelsten Gegenden von Amsterdam, und genau so stank es hier auch. Katoen hätte am liebsten die Luft angehalten.
    »Hierher!«
    Der Ruf kam von links. Katoen erkannte die etwas schrille Stimme von Joris Kampen. Der Büttel stand in dem Durchgang neben dem baufälligen Haus, aus dem Katoen gerade gekommen war, und winkte. Als Katoen näher trat, sah er, daß Kampen seine Pistole auf einen Bretterverschlag am Ende des Durchgangs gerichtet hielt. Er wischte sich mit einem Ärmel den Schweiß von der Stirn, und auf seinem breiten, etwas teigigen Gesicht zeichnete sich Erleichterung ab.
    »Gut, daß Ihr hier seid, Mijnheer Katoen. Das Ding ist ganz schön flink. Nur der Anblick meiner Pistole hat es davon abgehalten, einfach an mir vorbeizulaufen. Jetzt hockt es in dem Verschlag da. Weiß der Allmächtige, was es gerade ausbrütet.«
    »Ein Ding? Wovon redet Ihr?«
    »Wenn ich das
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