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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen
Autoren: Jörg Kastner
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sah zu, wie van der Zyl vorsichtig die geballte Rechte des Ermordeten öffnete. Darin lag etwas Flaches, Längliches, und erst bei genauerem Hinsehen erkannte Katoen, daß es sich um ein Blütenblatt handelte.
    »Ein Blatt?«
    »Von einer Tulpe, um genau zu sein«, sagte van der Zyl.
    Katoen schaute es sich gründlich an. »Solch eine Tulpe habe ich noch nie gesehen. Das Blatt ist tiefschwarz, und diese tropfenförmigen roten Flecken erinnern an Blutstropfen.«
    »Eine sehr seltene Tulpe, gewiß. Eine, mit der man zur Zeit des Tulpenfiebers ein Vermögen hätte verdienen können.«
    »Oder verlieren«, gab Katoen zu bedenken.
    »Oder verlieren, ja.«
    Katoen ließ seinen Blick über den Leichnam schweifen; in der Brust klaffte ein tiefes Loch, und die Kleidung ringsum war blutgetränkt. »Ein Stich direkt ins Herz, mit großer Wucht ausgeführt. Der Mörder muß kräftig sein, oder großer Zorn hat ihn zu der Tat getrieben. Aber was hat dieses Blütenblatt damit zu tun? Und wie habt Ihr davon wissen können?«
    »Ich hatte seine Faust schon geöffnet, bevor Ihr kamt. Gewußt habe ich es nicht, aber vermutet. Schließlich war es bei dem anderen Toten genauso.«
    »Der andere Tote?« fragte Katoen und hatte das ungute Gefühl, daß er etwas sehr Unerfreuliches zu hören bekommen würde.
    Van der Zyl erhob sich mit einem leisen Seufzen. »Das sollten wir nicht hier unter all diesen Leuten besprechen. Gehen wir zum Rathaus!«
    Die flackernde Öllampe erhellte nur einen Teil der geräumigen Amtsstube van der Zyls. Die Schatten der Möbel tanzten an den Wänden, zuckten hin und her, als hätte die Unruhe der beiden Männer sie angesteckt. Katoen stand an einem der beiden Fenster und blickte hinaus auf die nächtliche Stadt. Sie erschien ihm wie ein Moloch, dem es finstere Geheimnisse zu entreißen galt.
    Seine Büttel, Dekkert und Kampen, waren auf sein Geheiß bei der Leiche geblieben. Sie sollten die Bewohner der umliegenden Häuser danach befragen, ob sie etwas Wichtiges gesehen oder gehört hatten. Aber Katoen ahnte, daß das, was der Amtsrichter ihm zu eröffnen hatte, viel schwerwiegender war als das, was seine Gehilfen möglicherweise herausfanden.
    Van der Zyl hatte sich, wie auch Katoen, seines Umhangs und Huts entledigt und war damit beschäftigt, sich eine Pfeife anzuzünden. Als der leicht beißende Geruch des glimmenden Tabaks sich ausbreitete, lehnte er sich auf seinem wuchtigen Stuhl zurück. Entspannt wirkte er jedoch keineswegs.
    »Der andere Tote, von dem ich sprach, ist Jacob van Rosven«, hob er an.
    »Der Werftbesitzer, ja, ich habe davon gehört. Er verstarb letzte Woche, nicht wahr?«
    Der Amtsrichter nickte. »Genau vor einer Woche, am vergangenen Montag. Ich hätte Euch die Sache gleich anvertrauen sollen, aber Ihr wart nicht in Amsterdam.«
    »Ich habe meinen Onkel in Utrecht besucht«, erklärte Katoen und dachte einen Augenblick lang sehnsuchtsvoll an die gemütlichen Abende, die Onkel Adalbert und er bei Heidelbeerschnaps und Tabak verbracht hatten. »Ich weiß nicht viel über den Mord an van Rosven, habe nur gehört, daß es auf dem Gelände seiner Werft auf der Insel Marken geschehen ist. Einer der Büttel sagte, es sei ein Raubmord gewesen.«
    »Das war es nicht. Im Gegensatz zu de Koning trug der tote van Rosven seine Börse noch bei sich, als wir ihn fanden. Wir haben die Umstände seines Todes in der Öffentlichkeit heruntergespielt und das Ganze absichtlich als Raubmord dargestellt, weil van Rosven ein bedeutender Mann gewesen ist und wir in unruhigen Zeiten leben. Ihr wißt, die Republik der Sieben Vereinigten Niederlande steht am Vorabend eines Krieges.«
    Katoen nickte. »Wir werden den Franzosen zu mächtig, und König Ludwig ist ein neidischer, gieriger Mann. Wenn er die Gelegenheit wittert, sich ein paar neue Provinzen unter den Nagel zu reißen, dann haben wir wohl bald Krieg mit Frankreich.«
    »Wenn wir Pech haben, nicht nur mit Frankreich, sondern mit allen unseren Nachbarn. Die kleineren Staaten bereiten mir weniger Sorge, aber auch die Engländer scheinen mit Ludwig, den sie aus unerfindlichen Gründen den Sonnenkönig nennen, obgleich er doch einen gewaltigen Schatten wirft, gemeinsame Sache zu machen. Der englische König Karl und Ludwig sollen schon im vergangenen Jahr ein geheimes Bündnis gegen uns geschlossen haben. England neidet uns den florierenden Überseehandel, und den Franzosenkönig gelüstet es, wie Ihr so richtig sagt, nach noch mehr Land und noch mehr Macht.
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