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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen
Autoren: Jörg Kastner
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finden würde.
    »Eben ist ein Bote vom Amtsrichter eingetroffen«, meldete Kampen. »Ihr sollt sofort zur Zuiderkerk kommen. Dort ist ein Mord geschehen.«
    Katoen leerte seinen Becher und leckte die letzten Tropfen der rotblauen Flüssigkeit, die ihn mit angenehmer Wärme erfüllte, von seinen Lippen. »Wer hat wen ermordet?«
    Ratlos hob Kampen die Hände an. »Ich weiß es nicht, Inspektor.«
    »Würde man den Täter kennen, wäre Eure Anwesenheit kaum erforderlich«, sagte Dekkert und konnte ein schadenfrohes Grinsen nicht unterdrücken.
    »Unsere Anwesenheit, meine Herren«, korrigierte Katoen und erwiderte Dekkerts Grinsen. »Was wäre ich ohne meine beiden wackeren Büttel?«
    Mitternacht war längst vorüber, als sie den schlanken, hohen Turm der Zuiderkerk vor sich auftauchen sahen. Dem Inspektor kam er vor wie der mahnend in den Nachthimmel gereckte Zeigefinger eines Riesen. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, die unbestimmte Ahnung von einer großen Gefahr, die in den Schatten des nächtlichen Amsterdam zu lauern schien. Vielleicht, versuchte er sich zu beruhigen, bin ich einfach nur übermüdet.
    Schon von weitem sah er, daß in der Nähe der Kirche, die Hendrik de Keyser im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts als erstes protestantisches Gotteshaus der Stadt erbaut hatte, etwas Ungewöhnliches vorgefallen war. Eine große Anzahl von Menschen hatte sich dort versammelt, darunter viele Nachtwächter, ausgerüstet mit Laterne und Spieß. Sie erkannten den Amtsinspektor und bildeten, ohne daß er sie dazu hätte auffordern müssen, eine Gasse für ihn und seine Büttel, bis sie vor dem Amtsrichter standen.
    Nicolaas van der Zyl war ein beeindruckender Mann, allein schon durch seine Größe. Katoen hätte sich selbst nicht gerade als klein beschrieben, aber der Amtsrichter überragte ihn um Haupteslänge. Van der Zyls scharfe Gesichtszüge und die lange, leicht gebogene Nase verliehen ihm eine Strenge, die schon so manchem Angeklagten die Knie hatten zittern lassen. Zu dieser späten – oder frühen – Stunde wirkte er allerdings eher abgekämpft und besorgt. Katoen zog seinen federgeschmückten Hut, und der Amtsrichter erwiderte den Gruß mit einem kurzen Nicken.
    »Gut, daß Ihr so rasch gekommen seid, Inspektor. Ich hatte gehofft, daß mein Bote Euch noch im Rathaus antrifft.«
    »Ja, wir haben den Kuppler Dircks auf frischer Tat ertappt, und Freund Kampen hier vermochte ihm mit der Peitsche ein Geständnis zu entlocken.«
    »Schön, schön«, murmelte van der Zyl und schien dem Fall, mit dem er Katoen doch selbst betraut und auf dessen Dringlichkeit er gepocht hatte, kaum noch Bedeutung beizumessen. »Kuppelei und das Berauben von Freiern ist eine Sache, Mord eine andere. Und gar ein Mord wie dieser. Seht doch, zwei Nachtwächter haben die Leiche vor einer Stunde gefunden!«
    Der Richter trat zur Seite und gab den Blick frei auf einen wuchtigen Körper, der vor einer kleinen Brücke lag. Die Laterne eines Nachtwächters stand neben dem reglosen Mann auf dem Boden und beleuchtete sein fleischiges Gesicht, das von einem grauen Bart umrahmt wurde. Der Mann hatte seinen Hut verloren, und das graue Haar hing wirr um sein Gesicht. In seinen Augen war kein Leben mehr.
    »Den kenne ich«, sagte Katoen leise. »Ist das nicht der Bankier Balthasar de Koning?«
    »Ganz recht«, bestätigte van der Zyl mit düsterer Miene.
    Schlagartig begriff Katoen die Schwere des Vorfalls. De Koning war einer der einflußreichsten Männer Amsterdams, wenn nicht der ganzen Niederlande, gewesen. Kein Wunder, daß der Amtsrichter höchstpersönlich an den Ort des Geschehens geeilt war.
    Van der Zyl trat dicht neben Katoen und sagte leise, so daß niemand außer dem Inspektor es verstehen konnte: »Dieser Fall ist von großer Brisanz, Katoen, und Ihr müßt ihn unbedingt lösen, schnell und diskret. Gut möglich, daß ich damit das Schicksal der gesamten Niederlande in Eure Hände lege!«
    Die Eindringlichkeit, mit der van der Zyl das sagte, beunruhigte Katoen. »Ihr glaubt nicht an einen gewöhnlichen Raubmord?«
    »Nein, auch wenn dem Toten die Börse fehlt. Ich gehe nicht davon aus, daß der Mörder sie hat. Vermutlich hat jemand von unseren Leuten sie ihm abgenommen. Wir wissen doch alle, daß die Nachtwächter jede Gelegenheit nutzen, ihre karge Besoldung aufzubessern.«
    »Schon wahr, aber was macht Euch in diesem Fall so sicher?«
    »Das hier.«
    Als der Amtsrichter sich neben den Leichnam kniete, tat Katoen es ihm nach und
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