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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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malen.“
    „Er hatte den Haushalt meines Kardinals gerade verlassen und in Kardinal Mattei einen neuen Gönner gefunden“, erklärte Montojo seiner Begleiterin, als sie vor dem Bild standen, das den gestürzten Saulus zeigte. „Mattei war … nun … ein schwieriger Herr.“
    Zunächst blieb sie stumm vor dem Bild stehen und studierte mit leicht schräg gelegten Kopf das, was sie schon kennen musste: Saulus, zu Boden geworfen durch die Macht Gottes, die Augen geschlossen, die Arme emporgereckt, ohne Licht oder Heiligenschein, die ihn als den zukünftigen Apostel ausgewiesen hätten, ohne Engel mit der Botschaft des Herren; auf dem Bild fand sich nichts weiter als das Pferd, von dem er gestürzt war, und sein Knecht, hervorgetreten aus dem Schatten.
    Nach einer Weile wandte sie sich dem anderen Gemälde zu, der Kreuzigung Petri , und betrachtete es mit der gleichen Hingabe. Montojo erinnerte sich noch gut, wie die Leute sich darüber empört hatten, dass der Erste aller Päpste als gequälter, von Todesängsten geplagter alter Mann dargestellt war, ohne Engel, die ihn erwarteten. Als handelte es sich um einen alten Verbrecher aus den römischen Gefängnissen, hatte es geheißen. Natürlich hatte es auch Lob gegeben, doch für den Maler waren die Aufregung und das Gezische befriedigender, was seine Gegner nur noch mehr erzürnte. Bis zum heutigen Tag wusste Montojo nicht, ob es ein gutes oder schlechtes Zeichen war, dass ihm dies, trotz besseren Wissens, manchmal ein Lächeln entlockte.
    „Erzählt mir von ihm“, riss die Frau ihn aus seinen Gedanken.
    „Ihr müsst ihn doch auch gekannt haben“, gab er ausweichend zurück, obwohl er mit dieser Aufforderung gerechnet hatte. „Immerhin war er befreundet mit Eurem Vater.“
    „Sie teilten sich die Kostüme und Requisiten für Modelle“, verbesserte sie ihn, „und einige Zoten. Aber als sie beide vor Gericht standen, weil Giovanni Baglione sie wegen Verleumdung verklagt hatte, da sagte der Meister, mein Vater sei nicht sein Freund und auch keiner der von ihm geschätzten Maler. Es gab eine große Aufregung in unserem Haus damals. Ich war erst zehn … aber meint Ihr, so etwas könnte man je vergessen?“
    Montojo räusperte sich. Es stimmte, derartige Worte waren gefallen, als der eifersüchtige Maler Baglione gleich drei seiner Konkurrenten vor Gericht zerrte – Orazio Gentileschi, Filippo Trisegni und ihn, Caravaggio. Jeder von ihnen war aufgefordert worden, sein Verhältnis zu den anderen zu beschreiben. Es war nicht einmal so, dass der Meister etwas gegen Orazio Gentileschi gehabt hätte, einen Maler, der ihn bewunderte und in jedem Streit unterstützte; nein, der Mann aus Caravaggio war nur ohne jede Höflichkeit und daher fast so talentiert darin, Freunde zu verprellen, wie er es mit dem Pinsel war. Sympathie, ja, die hatte es gewiss für Gentileschi gegeben, und doch sah er keinen Anlass dazu, Freundschaft vorzugeben, wo er keine empfand. „Schmeicheln und schön tun, das ist etwas für Lakaienseelen.“
    „Aber wir sind Lakaien …“
    „Weil du es sagst, Pedro, mag es für dich so sein. Doch hast du solche Worte je aus meinem Mund gehört?“
    Wenn man es recht bedachte, gab es wirklich keinen Grund, warum der scharfzüngigste aller Maler je Gentileschis kleiner Tochter begegnet sein sollte. Montojo fragte sich, ob sie dem Meister die Gleichgültigkeit ihrem Vater gegenüber immer noch übel nahm. Aber dann hätte sie ihn wohl nicht gebeten, die Bilder des Kardinals sehen zu dürfen.
    „Nun“, gab er nach, während sie die Kapelle verließen, „ich weiß, dass er acht Jahre vor der Jahrhundertwende nach Rom kam, aber damals kannte ihn natürlich noch niemand. Er war ein Norditaliener, einer aus der Lombardei, und das, Signora“, fügte Montojo mit einem schiefen Lächeln hinzu, „ist fast so schlimm in dieser Stadt, wie aus Spanien zu kommen.“
    „Beides ist leichter, als eine Frau zu sein“, entgegnete sie scharf und schaute auf ihre verbundenen Hände. Die offene Anspielung auf das, was mit ihr geschehen war, überraschte ihn. War ihr nicht wie ihm eingehämmert worden, jede Art von Schmerz hinter einem Lächeln zu verstecken?
    „Davon weiß ich nichts“, sagte Montojo leise und meinte zu spüren, dass ihre ungewöhnliche Offenheit ihm kurz das Blut in die Wangen steigen ließ. Dann wurde ihm bewusst, dass er ihr – wenn sie Rom wirklich für immer verließ – nie wieder begegnen würde. Vielleicht gab ihr dies die Freiheit, Dinge
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