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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Archäologie, Bd. 1, Stuttgart 2000. Ferner: Zdenek Vana: Die Welt der alten Slawen, Prag 1983.)
    Ihre bedeutendsten Stämme waren die Obodriten im heutigen Mecklenburg und die Liutizen in Brandenburg und der Lausitz. Sie lebten als Bauern, Fischer und Viehzüchter inmitten dichter Wälder, die ganz Ostdeutschland von der Insel Rügen bis zum Erzgebirge bedeckten. Zeitgenössische Chronisten rühmten ihre einfache Lebensweise, ihre Gastfreundschaft und die Tatsache, dass es unter ihnen kaum Diebstahl oder Gewalttaten gab. Die Fürsten der Slawen residierten in Burgen, die vom Fundament bis zu den Zinnen gänzlich aus Holz errichtet waren.
    Über das zivile Leben der Slawen sind wir einerseits durch archäologische Funde, andererseits durch lokale Traditionen gut unterrichtet. Schwieriger zu rekonstruieren ist ihre Sprache und religiöse Vorstellungswelt, bei der wir uns weitgehend auf alte Dokumente verlassen müssen. Aus der elbslawischen oder „polabischen“ Sprache des Mittelalters sind nur wenige Worte bekannt; allerdings lebte sie nach der Christianisierung noch jahrhundertelang in einer vom Deutschen beeinflussten Variante fort, dem sogenannten Dravehnopolabischen. Es erhielt sich im niedersächsischen Wendland bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Rückschlüsse auf die slawische Ursprache sind jedoch nur mit Vorsicht und erheblichen Unsicherheiten möglich, weshalb ich mich im Roman auf wenige Wörter beschränkt habe. (Eine maßgebliche Quelle des Dravehnopolabischen ist:
    Reinhold Olesch, Thesaurus Linguae Dravaenopolabicae [= Slavistische Forschungen Bd. 43], 3 Bde., Böhlau, Köln, Wien 1983–87.) Eine wichtige Ausnahme bildet das Wort „Sjostje“ (= „Sachse“), mit dem die Elbslawen ganz allgemein die Deutschen bezeichneten. (Fr. Miklosich u. J. Fiedler [Hg.]: Slavische Bibliothek oder Beiträge zur slavischen Philologie und Geschichte, Bd. 2, Wien 1858, S. 112.)
    Verschiedene Schilderungen im Roman befassen sich außerdem mit der slawischen Religion. (Als Quelle diente hier vor allem: Zdenek Vana: Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker, Stuttgart 1993.) Die mythologische Vorstellungswelt der Slawen wurde von zahlreichen Geisterwesen bevölkert, unter ihnen die auf Waldlichtungen tanzende Vila, aber auch von Riesen und Zwergen, Erdmännchen, Wassernixen, menschenfressenden Hexen, Waldgeistern und Werwölfen. Viele dieser Gestalten haben sich in deutschen Märchen und Sagen erhalten.
    Für die Elbslawen ist sogar ein Tempelkult mit eigener Priesterschaft belegt. Im Tempel von Rethra wurde der slawische Gott Svarozic (oder Radegast) verehrt, dessen heiliges Pferd durch Überschreiten vergrabener Lose Orakelsprüche gab. In der berühmten Tempelburg Arkona auf Rügen huldigte ein Hohepriester dem vierköpfigen Gott Svantevit, dessen Tempelschatz aus Abgaben sämtlicher elbslawischen Stämme genährt wurde. Erst im Jahr 1168 wurde diese Burg von dänischen Truppen erobert, der Tempelschatz geplündert und die hölzerne Statue des Gottes vor den Augen der Bevölkerung in Stücke gehackt.
    Es ist mehrfach durch historische Dokumente bezeugt, dass die Slawen ihren Göttern Menschenopfer darbrachten. (Helmold, S. 197f.) Dies scheint jedoch nicht routinemäßig, sondern vor allem im Kriegsfall geschehen zu sein, wobei die Opfer unter gefangenen Christen ausgewählt und vorzugsweise durch das Los bestimmt wurden. In jeder anderen Hinsicht scheint die slawische Religion, wie überhaupt ihre gesamte Kultur, friedfertig und naturverbunden gewesen zu sein. Gewöhnlich empfingen die Götterbilder Opfer in Gestalt von Feldfrüchten und Ernteanteilen. Das galt auch für die heiligen Haine, in denen die Slawen vor allem die Eiche verehrten, die schon den Kelten und Germanen heilig gewesen war.
    Den christlichen Eroberern freilich erschien diese Naturfrömmigkeit heidnisch und sündhaft, weshalb man mit großer Schärfe gegen sie vorging. Bezeichnend ist jene Episode, die uns der Chronist und Augenzeuge Helmold von Bosau schildert. Darin berichtet er, wie er gemeinsam mit Bischof Gerold von Oldenburg einen heiligen Eichenhain der Slawen zerstörte und die Bäume in Brand steckte. (Helmold,  S. 291.) Was damals als heldenhafter Akt im Kampf gegen die Heiden galt, sollte uns heute nachdenklich und sogar traurig stimmen: Die letzten Spuren einer Naturreligion auf deutschem Boden gingen in Rauch und Flammen auf. Wer heute in einigen urtümlich gebliebenen Landschaften Mecklenburgs vor einer sehr alten
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