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Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Titel: Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
Autoren: Andreas J. Schulte
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wahr, sog sie in sich auf. Vielleicht würden sie später einmal nützlich sein.
    Das Stadttor war ein mächtiges Doppeltor mit zwei Erkern im Obergeschoss. Zwischen dem Außentor und dem Tor zur Stadtseite lagen mehr als 20 Schritte. Sollte das Außentor bei einem Angriff fallen, konnten die Verteidiger von den obenliegenden Wehrgängen die Angreifer in Schach halten. Das wuchtige Mauerwerk war jedenfalls nicht nur zur Zierde gewählt.
    Ein paar Jungen spielten hinter dem Tor. Mit Klingen aus Holz fochten sie, hieben unter lautem Gejohle aufeinander ein. „Seht her, ich bin Lanzelot, erster Ritter a m Hofe König Artus!“ Einer der Jungen stellte sich auf der Steinstufe eines Hauseingangs in Positur. Doch bevor sich Jung-Lanzelot wieder in den Kampf stürzen konnte, spürte e r eine Hand auf seiner Schulter. Erschrocken drehte er sich um. Vor ihm stand ei n Mann in einem schweren, schwarzen Reiseumhang. Die Kapuz e mit der lang auslaufenden Spitze, einer Gugel gleich, ließ das Gesicht zunächst im Schatten. Doch dann schlug der Mann die Kapuze zurück . Der Junge musterte den Fremden. Kein Bart, ein schmales Gesicht, unscheinbar wie viele andere, das braune Haar kappenartig kurz geschnitten. Manc h reicher Kaufmann trug so seine Haare. Der Fremde lächelte ihn an. „Wenn ich Euch, edler Ritter, kurz unterbrechen darf, so verratet einem Reisenden doch, wo er den ersten Gasthof am Platz finden kann?“
    Der Junge grinste, die meisten Erwachsenen beachteten sie kaum, oder sie störten sich an ihren Spielen. Von der Kleidung des Fremden konnte man außer dem schwarzen Reiseumhang nicht viel erkennen. Hatte der Fremde Geld genug? „Kommt darauf an, was Ihr ausgeben wollt.“ Mittlerweile hatten die übrigen Jungen mit dem Kampf aufgehört und standen jetzt schweigend und etwas abseits, um zu beobachten. „Das Gasthaus, in dem unsere hohen Ratsherren einkehren, ist der Gasthof ‚Zum Hirsch‘.“
    „Und wo finde ich diesen Gasthof?“ Zusammen mit der Frage drückte der Fremde dem Jungen ein paar Weißpfennige in die Hand. Der Junge öffnete die Hand, schaute prüfend hinein und zeigte dann mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht die Gasse hinauf. „Dort hoch, einfach der Nase nach. Das hier ist die Korngasse, fast am Ende ist der Hirsch. Ist nicht zu übersehen.“
    Der Fremde nickte kurz, schlug dann die Kapuze wieder nach vorne. Für einen Wimpernschlag blickte der Junge direkt in die Augen des Fremden. Dabei vergaß er alles: die Geldstücke in seiner Faust, den Kampf und seine Freunde. Das Gesicht hatte wie jedes andere ausgesehen, aber die Augen waren anders. Dunkel, tief, geradezu unheimlich. Das Lächeln schien diesen Blick gar nicht zu erreichen, es war, als gehörten die Augen zu einem anderen. Doch dann war der Moment vorbei. Der Fremde deutete eine Verbeugung an.
    „Habt Dank, Lanzelot, und vergesst bei Eurem Kampf nicht, dass Ihr noch den Gral finden müsst.“ Der Fremde drehte sich um und ging mit weiten Schritten die steile Korngasse hoch. Der Junge blickte ihm kurz nach, dann wurde er von seinen Freunden umringt, die alle neugierig wissen wollten, wie viel die Auskunft wert gewesen war. Auf den Fremden achtete keiner mehr. Der lief weiter, aufmerksam nahm er jede Kleinigkeit in sich auf: die Steinstufen aus Basalt, die zu den Hauseingängen gehörten, die hohen Giebel der Häuser mit ihrem vorgebauten zweiten Stockwerk, die schmalen Durchgänge, die von der Gasse wegführten. Manche Häuser standen so eng beieinander, dass es aussah, als lehnten sie aneinander, wie Saufkumpane, die sich gegenseitig stützen mussten, um noch torkelnd nach Hause zu kommen. Im Zwielicht einer dieser schmalen Gassen hörte er das Grunzen von Schweinen. Ein paar Schritte weiter konnte er gerade noch zur Seite springen, als aus einer Tür mit Schwung ein Nachttopf in die Unratrinne geleert wurde. Die Häuser strahlten Wohlstand aus: Alle waren sie im Erdgeschoss aus Stein, einem schwarzen Lavastein, der wie ein dunkler Schwamm aussah. Darüber erhoben sich solides Fachwerk und geschnitzte Eichenbalken. Die Fenster der oberen Stockwerke waren mit dünnem Pergament aus getrockneten Schweineblasen verschlossen. In einigen Fenstern gab es sogar bleigefasste Glasscheiben. Die Korngasse war jedenfalls nicht das Armenviertel der Stadt – soviel stand für ihn fest.
    Aus einem Hof, fast am Ende der Gasse, war lautes Hämmern zu hören. Ein Schmied arbeitete an einem Hufeisen, zwei Knechte hielten das Pferd fest. Andere
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