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Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Titel: Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
Autoren: Andreas J. Schulte
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Hand auf die Schulter. „Meine Fresse, ‚Hochwürden‘, noch nie hat mich jemand ‚Hochwürden‘ genannt.“
    Meine Schulter war gebrochen. Ganz klar, sie musste gebrochen sein. Unauffällig bewegte ich das Schultergelenk. Vielleicht hatte ich ja doch noch einmal Glück gehabt, langsam kehrte das Gefühl wieder zurück. Mein Gott, wenn das ein freundschaftliches Schulterklopfen gewesen sein sollte …
    Heinrich schien nichts bemerkt zu haben. „Lasst bloß den Unfug mit ‚Hochwürden‘, ‚Heinrich‘ reicht vollkommen, wenn wir beiden unter uns sind.“ Er legte mir eine Hand auf den Arm. Ich wappnete mich gegen neue Schmerzen, aber er ließ seine Hand lediglich liegen und drängte mich sanft, aber bestimmt in Richtung Kirchentü r.
    Erst jetzt fielen mir seine Hände auf: groß wie Schaufeln. Selten hatte ich größere gesehen. Mit diesen Händen hätte er meine Tür gar nicht eintreten müssen, stärkeres Anklopfen hätte schon genügt. Seine Wortwahl klang auch nicht gerade priesterlich, ich vermutete aber, dass er nicht mit allen Gemeindemitgliedern so sprach.
    Wir gingen Seite an Seite langsam durch das Kirchenschiff zur Haupttür. Heinrich beachtete kaum die Grüße der übrigen Kirchenbesucher. Er hatte sein verlorenes Schaf wieder, und das wollte er auf keinen Fall erneut verlieren.
    Mir fiel eine Geschichte ein, die ich vor ein paar Tagen gehört hatte. Drei Bengel, kaum 20 Jahre alt, aber betrunken fü r fünf, hatten nachts lautstark vor Heinrichs Hau s gegrölt und den Pfaffen um seinen Segen gebeten, wie sie es nannten. Heinrich war dann irgendwann aus dem Haus gekommen. Die Bengel hatten Eichenknüppel dabei, suchten Streit und nahmen wohl an, ein Pastor sei gena u das richtige Opfer. Sie kamen nicht aus Andernach – sonst hätten sie es besser gewusst. Heinrich hatte ihnen in wenigen Minuten mit seinen bloßen Händen einen Segen erteilt, de n sie so schnell nicht wieder vergessen würden . So eindrücklich, dass zwei von ihnen noc h Tage später mit Beulen und blauen Flecken durch die Stadt humpelten. Der Dritte hatte weniger Glück . Wie man sich erzählte, hatte er die schlechte Idee gehabt, ein Messer zu ziehen . Heinrich hatte ihm mit einem Hieb das Handgelenk gebrochen und ihm dann eine so donnernde Ohrfeige verpasst, dass der Angreifer zu Boden ging. Trotz aller Bemühungen der Hospiz-Brüder würd e der Bengel wohl immer ein steifes Handgelenk behalten. Das unrühmliche Ende einer Sauftour und der dummen Idee, sich mit einem Pfaf fen anzulegen.
    Heinrich unterbrach meine Gedanken. „Also nur Konrad, kein Familienname. Warum auch nicht, wir alle haben ein Bündel zu tragen, das man nicht für jeden aufschnürt. Seht Euch dieses Gotteshaus an, Konrad. Es ist doch kein Wunder, wenn alle nur noch Dom dazu sagen. Viel zu groß für diese Gemeinde.“ Ich blickte zu den beiden Türmen hoch. Heinrich hatte recht. Diese Kirche konnte beinahe mehr Besucher aufnehmen, als Andernach Bürger hatte.
    Heinrich schnaubte: „Aber ich will in der Hölle schmoren, bevor ich mich beschwere. Ein einfacher Pfa ffe mit einem eigenen Dom. Ich verrate Euch, was ich denke. Andernach ist seit den Zeiten Kaiser Friedrich Barbarossas eine kurkölnische Stadt. Doch als Kirchengemeinde gehören wir zu Trier. Wusstet Ihr, dass ich nur Vizepfarrer dieser Gemeinde bin? Ja, eigentlich ist der jeweilige Erzbischof zu Trier der erste Pfarrer dieses Gotteshauses, gebaut von einem seiner Vorgänger vor fast 300 Jahren. Der damalige Erzbischof zu Trier wollte mit dem Bau dieser Kirche dem kurkölnischen Andernach mal zeigen, wer die dickeren Eier hat. Also, sofern ein Erzbischof überhaupt welche, ich meine … ach, ich und mein loses Maul.“ Heinrich seufzte und schwieg.
    Ich hatte schon einige Priester kennengelernt, aber dieser hier schien mir von ganz besonderer Art.
    „Ich nehme an, Ihr wart nicht immer ein Mann Gottes?“
    Die kummervollen Falten in Heinrichs Gesicht verschwanden. „Beim Schwanz des Teufels und seinem Pferdefuß! Ihr habt richtig geraten. Bevor ich meine eigentliche Bestimmung fand, diente ich verschiedenen Herren als Söldner und lehrte dabei so manchen Fußsoldaten den richtigen Umgang mit Schwert, Stock und Spieß. Und Ihr, Herr …?“ Heinrich sah mich fragend an. Er versuchte es doch tatsächlich noch einmal. Ich wusste genau, was er dachte. Damals vor einem halben Jahr hatte ich auf die Grabplatte nur ihre Vornamen gravieren lassen: Maria und Sophie. Mein Familienname gehörte zu einer
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