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Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall

Titel: Die Toten des Meisters - Konrads erster Fall
Autoren: Andreas J. Schulte
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pökelten Fleisch in großen Salzfässern. Zwei Frauen waren an einem Brunnen damit beschäftigt, Waschwasser in Tröge zu füllen. Alles nahm er mit einem einzigen Blick in sich auf. Über dem Tor, das diesen Einblick in den Hof gewährte, hing ein großer, eiserner Hirsch, den Kopf zum Röhren weit nach hinten gebogen. Der Fremde hatte sein Ziel erreicht.

6
    Ich fühlte mich auf eine seltsame Art erleichtert, so als wäre eine Aufgabe erledigt. Nachdem ich mich von Pastor Heinric h verabschiedet hatte, wurde mir erst richtig klar, wie lange ich auf dieses kurze Gespräch gewartet hatte. Ganz automatisch wandte ich mich dem kleinen Friedhof zu , der direkt neben der Kirche angelegt worden wa r. Hier gab es zwei Massengräber: In den Tagen, als der namenlose Schrecken der Krankheit durch die Straßen Andernachs ging, die Gesunden sich kaum noch aus ihrem Haus trauten, hatten die Stadtväter keine andere Lösung gesehen. Als die Leichen zahlreicher wurden, waren viele froh , wenn ihre Angehörigen möglichst schnell unter die Erde kamen. Schnell aus dem Haus, damit di e tückische Krankheit nicht noch weiter um sich gri ff. Und manch ein Nachbar weigerte sich, auc h nur einen Gulden für ein richtiges Begräbnis zu bezahlen, wenn nebenan der Tod wieder zuschlug. Auch Maria und Sophie wären sicher in eine der großen Gruften geworfen worden.
    Als ich an ihrem Grab stand, wuchs erneut meine Dankbarkeit gegenüber Heinrich. Er hatte uns kaum gekannt, Maria hatte sich wohl ein paar Mal mit ihm unterhalten. Heinrich war es, der dafür sorgte, dass ein Arzt regelmäßig nach uns schaute. Maria und Sophie todkrank in ihren Betten, ich selbst im Kampf mit dem tödlichen Fieber. Ich gewann wie durch ein Wunder . Maria und Sophie verloren. Heinrich weigerte sich bis zuletzt, die beiden in die Massengruft werfen zu lassen. So lange, bis sicher war, dass ich das Schlimmste überwunden hatte. An einem klaren, kalten Morgen stand ich, ein Schatten meiner selbst, dann zusammen mit ihm vor ihrem offenen Grab. Er hatte beide in einen Steinsarg legen lassen, der von irgendeinem wohlhabenden Gemeindemitglied einmal für den Pfarrer selbst gestiftet worden war.
    An diesem Wintertag hatte ich zwar das Schlimmste der Krankheit überwunden, doch ich war nicht darauf vorbereitet, an diesem Loch zu stehen, Erde hineinzuwerfen. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Ihr Lachen, ihre Blicke, weggewischt! Ich war nicht einmal bei ihnen, als sie starben.
    Jetzt, an ihrem Grab, wurde mir eines bewusst: Zum ersten Mal seit vielen Monaten fühlte ich nicht mehr den Knoten im Bauch – konnte mit einem Mal wieder an ein Morgen denken. Für heute war es Zeit, die Toten ruhen zu lassen. Stumm verabschiedete ich mich von den beiden und schlenderte langsam zum Ausgang hinüber. Ich schloss sorgfältig das Friedhofstor hinter mir. Vor mir lag noch ein langer Vormittag.
    Vom Friedhof aus war es nicht sehr weit, nur die Kirchgasse hinauf zur Hochstraße.
    Die Sonne versuchte immer noch, den milchig trüben Nebel zu durchbrechen. Der Tag konnte sich nicht entscheiden, ob er herbstlich grau oder sonnig werden wollte. Mein Magen knurrte. W enn ich ein zweites Frühstück wollte, musste ich noch Brot und etwas Käse kaufen. Ich entschloss mich, erst einmal zum Alten Markt hinüber zu gehen.
    Plötzlich zog mir der Duft von frischgebackenem Brot in die Nase. Der Bäcker in der nächsten Gasse verteilte gerade ofenfrische Laibe i n die Körbe seiner beiden Bäckerjungen, die sie zu den Gast häusern bringen sollten. Da s liebte ich so an Andernach. Man konnte hier an fast jeder Ecke frisches Brot kaufen . Ich entschied mich für ein kräftiges Roggenbrot, da s noch warm war, als der Bäcker es mir in einen Leinenbeutel packte. Mit de m Leinenbeutel über der Schulter lief ich weiter zum Marktplatz. Zweimal in jeder Woche , einmal in ihrer Mitte und einmal an ihrem Ende, gab es einen Wochenmarkt. Abe r auch außerhalb dieser Markttage versuchten immer ein paar Bauern, zumindest etwas Gemüse, Obst, Butter und Käse zu verkaufen. Dafür waren sie bereits im Morgengrauen aufgebrochen, um mit dem Öf fnen der Stadttore in die Stadt zu kommen, aufmerksam beobachtet von der Marktwache, die zum Beispiel dafür Sorge tragen musste, dass jeder die in Andernach gültigen Maße und Gewicht e nutzte und einhielt. Schließlich gab es eine n beträchtlichen Unterschied zwischen einem Malter Hafer in Andernach und einem Malter Hafer in Koblenz. Jeder wusste darum, aber wenn es um
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