Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
Vom Netzwerk:
einer verlassenen Bildhauerwerkstatt mit Tausenden von formlosen Entwürfen, mißgestalteten Ungeheuern, verstreut auf einem grünen Teppich, der mit Gänseblümchen und Glockenblumen besät war.
    Ein Baum sah aus wie eine ungeheure Kröte, die sich zum Sprung zusammenzieht, mit einem Strauß von Blättern am Maul; ein anderer wie eine ungefüge Boa mit aufeinandergehäuften Ringen, die ein Olivenbüschel am Kopf trug. Es gab Riesenschlangen, die sich in ein Knäuel zusammengeballt hatten, gigantische Neger mit dem Kopf nach unten und den Füßen in der Luft, barbarische Fetische mit herausspringenden Augen und flatternden Bärten.
    Man erzählt, daß Gustave Doré unter diesen uralten Olivenbäumen seine phantastischen Schöpfungen entworfen hat. Bei dem Gedanken an diesen Künstler erinnerte sich Jaime an andere Persönlichkeiten, noch berühmter als Doré, die auf diesem selben Wege gekommen waren und in Valldemosa gelebt und geduldet hatten.
    Zweimal war er zu dem Karthäuserkloster hinausgefahren, nur um die Stätte zu sehen, die durch die Liebe für immer geweiht war. Oft hatte ihm sein Großvater von der »Französin« von Valldemosa und ihrem Begleiter, dem »Musiker« gesprochen.
    Eines Tages im Jahre 1838 sahen die Einwohner von Mallorca und die Spanier, die sich vor den Schrecken des Zivilkrieges auf die Insel geflüchtet hatten, ein ausländisches Ehepaar landen, begleitet von einem Knaben und einem Mädchen. Als das Gepäck an Land geschafft wurde, bestaunten die Insulaner einen großen Flügel, einen Erard, der eine Zeitlang im Zollamte bleiben mußte, bis gewisse Bedenken der Behörde zerstreut waren.
    Die Reisenden nahmen zuerst Quartier in einer Herberge, die sie aber bald verließen, um die Villa Son Vent, ganz nahe bei Palma, zu mieten. Der Mann schien krank zu sein. Er war jünger als seine Begleiterin, aber abgemagert durch sein Leiden und von einer durchsichtigen Blässe. Die Augen glänzten im Fieber, die schmale Brust wurde von einem unaufhörlichen Husten erschüttert. Eine schwarze, üppige Löwenmähne fiel in Locken bis in den Nacken. Die Frau hatte etwas Männliches in ihrem Wesen. Mit mehr gutem Willen als Geschicklichkeit verrichtete sie wie eine schlichte Bürgersfrau alle Hausarbeiten. Spielte sie aber mit ihren Kindern, so wurde sie selbst zum Kind. Ihr gütiges und heiteres Gesicht zeigte nur dann einen bekümmerten Ausdruck, wenn sie den Husten des »geliebten Kranken« hörte. Aber man ahnte bei dieser unsteten Familie etwas Regelwidriges, eine stumme Auflehnung gegen die menschlichen Gesetze. Die Frau kleidete sich mit einem etwas phantastischen Geschmack. Sogar der silberne Haarpfeil, den sie in der Frisur trug, war den frommen Damen von Mallorca ein Ärgernis. Außerdem ging sie niemals zur Messe, machte keine Besuche und verließ die Villa nur, um mit ihren Kindern zu spielen oder den armenSchwindsüchtigen an ihrem Arm in der Sonne spazieren zu führen. Die Kinder waren ebenso ungewöhnlich wie die Mutter. Das Mädchen trug einen Knabenanzug, um unbehinderter umherspringen zu können.
    Bald hatte die Neugier der Insel die Namen dieser eigenartigen Fremden ausfindig gemacht. »Sie« war Französin und hieß Aurora Dupin, eine frühere Baronin, die sich von ihrem Gatten getrennt hatte. Als Schriftstellerin war sie in der ganzen Welt berühmt geworden durch ihre Romane, die sie mit einem Pseudonym zeichnete, zusammengesetzt aus einem männlichen Vornamen und dem Namen eines politischen Verbrechers: George Sand. »Er« war ein polnischer Musiker, von derartig delikater Veranlagung, daß es schien, als ob er mit jedem seiner Werke einen Teil seiner Lebenskraft hingäbe. Mit neunundzwanzig Jahren fühlte er den Tod herannahen. Er nannte sich Friedrich Chopin. Die Kinder gehörten der Schriftstellerin, die schon fünfunddreißig Jahre zählte.
    Die gute Gesellschaft von Mallorca, in ihren traditionellen Vorurteilen befangen, war entrüstet über einen derartigen Skandal. Diese Leute waren nicht miteinander verheiratet! ... Und sie schrieb Romane, über deren Kühnheit sich ehrbare Menschen entsetzten! ... Dennoch waren alle Frauen begierig, diese Romane zu lesen. Aber in ganz Mallorca ließ sich nur Don Horacio Febrer, der Großvater von Jaime, Bücher kommen. Die beiden kleinen Bände aus seiner Bibliothek »Indiana« und »Lelia« gingen von Hand zu Hand, ohne daß übrigens die Leser viel davon verstanden hätten. Auf jeden Fall wurde die Verfasserin von der öffentlichen Meinung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher