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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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I.
    Jaime Febrer erhob sich um neun Uhr morgens. Madó Antonia, Auf Mallorca gebräuchliche Abkürzung für Madonna die alte Dienerin des Hauses, die ihn seit seiner Geburt kannte, bewegte sich schon längere Zeit in dem Schlafzimmer hin und her, ohne daß ihn das Geräusch geweckt hätte. Endlich öffnete sie die wurmstichigen Fensterläden, um das volle Tageslicht hereinzulassen. Sie wartete noch eine kleine Weile und zog dann die roten, mit Goldborten eingefaßten Damastvorhänge auseinander, die wie eine Art Zelt das ungeheure Bett umgaben. In diesem majestätischen Prunkbette hatten viele Generationen der Febrer das Licht der Welt erblickt, Nachkommen gezeugt und waren in ihm gestorben.
    Als Jaime am Abend vorher vom Kasino zurückkehrte, hatte er Madó Antonia dringend aufgetragen, ihn frühzeitig zu wecken, da er nach Valldemosa fahren wollte.
    Es war ein wunderbarer Frühlingsmorgen. Auf den blühenden Zweigen im Garten, die eine vom nahen Meere kommende Brise leicht bewegte, zwitscherten die Vögel im Chor.
    Als die Dienerin sah, daß ihr Herr sich endlich entschlossen hatte, das Bett zu verlassen, ging sie zur Küche. Jaime Febrer fing an, vor dem offenen, durch eine schlanke Säule geteilten Fenster auf und ab zu wandern.
    Er hatte lange wach gelegen, unruhig und nervös beim Gedanken an die Bedeutung des Schrittes, den er am nächsten Morgen unternehmen wollte. Sein Schlaf war zu kurz gewesen, so daß sich sein erschlaffter Körper nach der belebenden Wirkung des kalten Wassers sehnte. Er warf auf das kleine, armselige Waschbecken einen bekümmerten Blick. Welches Elend! Er wohnte in einem Palast, aber die einfachsten Bequemlichkeiten fehlten ihm. Die Armut zeigte sich bei jedem Schritt in diesen großen Sälen, deren Anblick Jaime an die prächtigen Dekorationen erinnerte, die er gelegentlich seiner Reisen kreuz und quer durch Europa in manchen Theatern gesehen hatte.
    Wie ein Fremder, der zum ersten Male dieses Schlafzimmer betrat, bewunderte Febrer den monumentalen Raum mit seiner hohen Decke. Seine Vorfahren hatten für Riesen gebaut. Jeder Saal war so groß wie ein modernes Haus. Aber der Verfall machte sich überall bemerkbar. In sämtlichen Fenstern fehlten die Scheiben, so daß man im Winter gezwungen war, alle Läden geschlossen zu halten. Da keine Teppiche lagen, sah man den mit Sandstein von Mallorca ausgelegten Boden, dessen Platten, wie ein Parkett, regelmäßige Rechtecke bildeten. Die Decken zeigten prächtige, alte Stuckarbeiten. Einige waren dunkel gehalten und ganz aus kunstvollen Arabesken zusammengesetzt; andere, in Mattgold, ließen die Wappenschilder der Familie wirksam hervortreten. Die mit Kalk geweißten Wändeverschwanden unter der Fülle von alten Gemälden oder waren mit prachtvollen Teppichen behängt, deren lebhafte Farben dem Einfluß der Zeit widerstanden hatten.
    Das Schlafzimmer war mit acht großen Gobelins geschmückt, die Gärten darstellten. Lange Alleen führten zu einem Rondell, auf dem Hirsche in mutwilligen Sprüngen umhertollten und das Wasser der Springbrunnen von Becken zu Becken herabtropfte. Über den Türen hingen alte italienische Gemälde mit idyllischen Motiven: Kinder spielten auf grünen Wiesen mit schneeweißen Lämmchen. Der Teil des Schlafzimmers, in dem das Bett stand, war durch einen imposanten Bogen abgetrennt. Die gerieften Säulen, die ihn trugen, liefen aus in ein geschnitztes Blattwerk. Auf einem Tische aus dem XVIII. Jahrhundert sah man eine bemalte Statue von St. Georg, dessen Pferd die Mauren unter seinen Füßen zertritt. Neben alten Sesseln mit schön geschweiften Armlehnen standen einfache Strohstühle. Welcher Jammer! dachte der Erbe der Febrer. Der alte Palast seiner Ahnen mit seinen schönen Fensterbogen ohne Scheiben, seinen Sälen, voll von Gobelins, aber ohne Teppiche, seinen kostbaren Antiquitäten neben den primitivsten Möbeln kam ihm vor wie ein Prinz im Elend, mit kostbarem Mantel angetan, aber ohne Schuhe und Wäsche.
    Welche Zeiten des Ruhmes und der Üppigkeit hatte dieser Palast nicht erlebt! Ob Kaufleute oder Krieger, immer waren die Febrer Seefahrer gewesen. Wimpel und Flaggen von mehr als fünfzig Seglern, den schnellsten der Flotte von Mallorca, zeigten das Wappen der Febrer. Sie verkauften das Öl der Balearen in Alexandrien, holten von den Stapelplätzen Kleinasiens Spezereien,Seide und Parfümerien des Orients, trieben Handel mit Venedig, Pisa und Genua und grüßten die Säulen des Herkules auf der Fahrt nach den
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