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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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Valls und Margalida gestützt, mit dem unsicheren Schritt des Rekonvaleszenten zum ersten Male auf die Veranda. In einen bequemen Armstuhl gelehnt, betrachtete er mit frohem Blick die friedliche Landschaft. Auf der Spitze des Vorgebirges reckte sich der Piratenturm. Wie hatte er in seinen Mauern geträumt und geduldet! ... Lieber, alter Turm! Dort, allein und von der Welt verlassen, war in seinem Herzen die Liebe aufgekeimt, die den Rest seines bis dahin inhaltlosen Lebens mit Freude und Wärme füllen sollte.
    Noch schwach von dem langen Krankenlager, atmete er mit Behagen die Morgenluft ein, die durch einen leichten Wind vom Meere gekühlt wurde.
    Margalida richtete einen liebevollen Blick auf Jaimeund kehrte ins Haus zurück, um sein Frühstück zu bereiten.
    Lange Zeit saßen die beiden Männer schweigend nebeneinander. Valls hatte seine Pfeife hervorgezogen, sie mit englischem Tabak gefüllt und hüllte sich in duftende Rauchwolken.
    Febrer, dessen Blick auf Himmel und Bergen, Feldern und Meer ausruhte, sprach mit leiser Stimme vor sich hin.
    Das Leben war schön. Er bestätigte es mit der Überzeugung des Menschen, der knapp dem Tode entgangen ist. Und wie der Vogel und das Insekt im Schoße der Natur, konnte der Mensch sich frei bewegen. Für alle gab es Platz auf der Erde. Warum unbeweglich in den Ketten verharren, die von anderen geschmiedet waren, um über das Schicksal derer, die nach ihnen kamen, zu verfügen?
    Valls lächelte ihm spöttisch zu. Oft hatte er Jaime zugehört, wenn er im Delirium von den Toten sprach und dabei die Arme heftig bewegte, als wollte er sie, die Angst und Schrecken brachten, abwehren. Aufmerksamer lauschte er jetzt den Erklärungen, die ihm Febrer gab, und als er erfuhr, wie schwer der blinde Respekt vor der Vergangenheit und die ehrfürchtige Unterwerfung unter den Einfluß der Toten auf dem Leben seines Freundes gelastet hatten, verschwand der spöttische Ausdruck auf seinem Gesicht und er versank in nachdenkliches Grübeln.
    »Glaubst du, daß die Toten befehlen, Pablo?« fragte Jaime endlich.
    Der Kapitän zuckte die Achseln. Für ihn gab es auf der Welt keine absolute Wahrheit. Vielleicht befand sich das Reich der Toten schon im Verfall. Zweifelsohnehatten sie in früheren Zeiten despotisch geherrscht. Heute übten sie ihre Macht nur noch in gewissen Ländern aus, während ihre Herrschaft in anderen vollkommen zertrümmert war. Auf Mallorca regierten sie jedenfalls noch mit starker Hand, wie er, der Chueta, bestätigen konnte.
    Febrer fühlte eine tiefe Erbitterung, als er ah seine Irrungen und die Beklemmungen, die er nur ihnen verdankte, zurückdachte. Verfluchte Toten I Die Menschheit konnte nicht frei und glücklich sein, bevor man ihnen nicht ein Ende gemacht hatte.
    »Pablo, töten wir die Toten!«
    Der Kapitän sah seinen Freund einen Augenblick bestürzt an. Aber als er seine klaren Augen gewahrte, beruhigte er sich und sagte lächelnd:
    »Für meinen Teil: fort mit den Toten!«
    Dann lehnte er sich zurück, stieß eine Rauchwolke aus und fuhr mit ernstem Gesicht fort:
    »Du hast recht, töten wir die Toten! Zertreten wir die alten Vorurteile, diese nutzlosen Hindernisse, die unsern Lebensweg nur erschweren. Folgen wir den weisen Lehren von Moses, Buddha, Jesus, Mohammed und anderen Führern der Menschheit: nützlich und logisch ist es, nur seinen eigenen Gedanken und Empfindungen gemäß zu leben.«
    Jahne blickte rückwärts, als ob seine Augen im Innern des Hauses die anmutige Gestalt Margalidas entdecken wollten.
    »Könntest du dich heute mit meiner Nichte ohne Angst und ohne Gewissensbisse verheiraten?« fragte Don Pablo.
    Febrer zögerte eine Weile, bevor er antwortete:
    »Heute ja, denn ich würde den Skrupeln, die mich damals so gequält haben, keine Beachtung mehr schenken. Aber etwas hätte dieser Verbindung doch gefehlt; etwas, das über dem Willen und der Macht des Menschen steht; etwas, das nicht mit Gold erworben werden kann und doch die Welt regiert; etwas, das die bescheidene Margalida mit sich brachte, ohne es zu wissen ...«
    Für Febrer begann ein neues Leben. Die Not seiner Seele war vorüber.
    Nicht die Toten befehlen. Das Leben befiehlt und im Leben die Liebe.
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