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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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ganzer Kopf war blutüberströmt. Er schrie und krümmte sich wie ein Besessener. In dieser Stunde wird er wohl schon ausgelitten haben. Möge der Allmächtige ihm barmherzig sein! Kaum hatte Pepet den am Boden liegenden Vèrro gesehen, als er ein großes Messer aus dem Gürtel riß und wie ein wütender, boshafter Affe auf ihn losstürzte, um ihm den Garaus zu machen. Ich habe mir Mühe geben müssen, den Bengel zurückzuhalten. Woher hat er nur diese Waffe? Ein schönes Spielzeug für einen Seminaristen. Der Junge ist wirklich ein kleiner Teufel.
    Dann erst haben wir den Herrn entdeckt, der in derNähe der Treppe auf dem Gesicht lag. Ach, Don Jaime, der Schreck, den wir alle ausstanden! Wir glaubten im ersten Augenblick, Sie wären tot. In solchen Momenten weiß man erst, wie lieb man jemanden hat.«
    Und seine feuchten Augen ruhten auf Jaime mit dem Ausdruck grenzenloser Hingebung.
    Dieser weiche Blick war das letzte, was Febrer sah. Seine Lider senkten sich, und er fiel in einen traumlosen Halbschlaf, in das weiche Grau des Nichts, als wären seine Gedanken noch eher als sein Körper eingeschlafen.
    Als er die Augen öffnete, wurde das Zimmer nicht mehr von der Lampe erhellt, die jetzt mit schwarzem, erloschenem Docht an ihrem alten Platze hing. Ein fahles Licht drang durch das Schlafzimmerfensterchen herein, das Morgengrauen. Jaime hatte plötzlich ein Gefühl der Kälte. Die Decken wurden von seinem Körper fortgezogen, und geschickte Hände lösten den Verband. Das noch vor wenigen Stunden unempfindliche Fleisch schmerzte bei der leisesten Berührung.
    Der Verwundete folgte mit verschleiertem Blick den Händen, die ihn marterten. Er sah ein paar schwarze Ärmel, dann eine Krawatte, einen Kragen und ein Gesicht mit grauem Schnurrbart, das er häufig unterwegs gesehen hatte, doch jetzt mit keinem Namen zusammenbringen konnte. Erst ganz allmählich erinnerte er sich. Es mußte der Arzt von San José sein, dem er zu Pferde oder auf einem Wägelchen oft begegnet war. Der alte Praktiker trug Sandalen wie die Bauern und unterschied sich von ihnen nur durch die Krawatte und den gebügelten Kragen, beides Zeichen von Überlegenheit, auf die er sorgsam achtete.
    Als Jaime nicht mehr die Finger spürte, die ihn so arg gequält hatten, fiel er vor Erschöpfung wieder in Halbschlaf. Mit geschlossenen Augen hörte er aber Bruchstücke der Unterhaltung in der benachbarten Küche. Eine unbekannte Stimme, wohl die des Arztes, sagte: »Ein Glück, daß die Kugel nicht im Körper blieb! Allerdings ist die Lunge durchbohrt.« – Hier unterbrach sie ein Chor von bestürzten Ausrufen. Dann fuhr die Stimme fort: »Deswegen braucht man nicht gleich an das Schlimmste zu denken. Eine Verletzung der Lunge verharscht sehr leicht. Das einzige, was wir zu befürchten haben, ist eine traumatische Lungenentzündung.«
    Mehr hörte der Verwundete nicht. Wieder tauchte er in das Nebelmeer der Betäubung, dieses ungeheure, glatte, drückende Meer, in dem Visionen und Empfindungen spurlos untergehen.
    Von diesem Augenblick an verlor Febrer das Gefühl für Zeit und Wirklichkeit. Gewiß, er lebte. Aber sein Leben war anormal, eine lange Aufeinanderfolge von Schlaf und Bewußtlosigkeit, durch kurze lichte Momente unterbrochen. Er öffnete die Augen, und es war Nacht. Das Fenster gähnte schwarz, und der Schatten der Kerzenflamme tanzte unruhig auf der Wand. Er öffnete sie wieder, wie ihm schien, nach einigen Sekunden, und schon war es Tag. Ein Sonnenstrahl zeichnete einen goldenen Kreis zu Füßen des Bettes. So folgten sich mit phantastischer Schnelligkeit Tag und Nacht, als hätte der Lauf der Zeit sich für immer geändert.
    In einem klaren Moment begegnete er den Augen des Kaplanchens. Der Junge, im Glauben, daß es Don Jaime besser ginge, fing an zu erzählen, doch mit gedämpfterStimme, um den Vater, von dem strengstes Stillschweigen angeordnet war, nicht zu erzürnen.
    »Der Ferrer ist begraben und verfault schon in der Erde. Was für eine sichere Hand Sie haben, Don Jaime! Ihre Schüsse saßen sämtlich im Kopf.«
    Dann berichtete er alles, was sich mittlerweile zugetragen hatte.
    »Aus der Stadt ist der Richter mit seinem quastenverzierten Stock hier gewesen, begleitet von einem Gendarmerieoffizier und zwei Herren mit Papieren und Tintenfässern. Eine große bewaffnete Eskorte in Dreimastern umgab sie. Nach kurzer Rast in Can Mallorqui stiegen sie zum Turm, wo sie alles in Augenschein nahmen und aufs genaueste untersuchten. Ich mußte
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