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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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mich auf der Stelle, wo Sie zusammengebrochen waren, ausstrecken und dieselbe Lage einnehmen, in der wir Sie gefunden haben. Dann erst durften einige fromme Nachbarn den Leichnam des Ferrer zum Kirchhof von San Jose forttragen. Der Richter wollte noch einige Fragen an Sie richten, aber Sie schliefen. Ab und zu machten Sie die Augen auf und sahen alle mit wirren Blicken an, fielen aber sofort wieder in Schlaf. Erinnern Sie sich an gar nichts mehr, Don Jaime? Wenn Sie gesund sind, will der Richter nochmals mit Ihnen sprechen. Aber seien Sie ganz ruhig, alle ehrenhaften Leute, auch die Justiz, sind auf unserer Seite. Da der Ferrer keine nahen Verwandten besitzt, die Rache nehmen könnten, verheimlichte niemand, daß er zweimal nachts zum Turm gegangen ist, um Sie zu überfallen. Selbstverteidigung, Don Jaime! Auf ganz Ibiza wird nur von diesem Ereignis gesprochen. Man hat sogar Briefe nach Mallorca geschickt, damit die Zeitungen von Palma alles veröffentlichen.Wahrscheinlich wissen Ihre Freunde dort schon Bescheid.
    Nur der Cantó ist wegen seiner Drohungen und Lügen verhaftet worden. Er behauptete, er wäre es gewesen, der Sie nachts herausgefordert hätte, und versuchte, den Vèrro als unschuldiges Opfer hinzustellen. Aber der Richter hat schon genug von seinen Flausen und Flunkereien und wird ihn wahrscheinlich bald in Freiheit setzen. Dieses lächerliche Huhn, und einen Mann töten! Das ist zum Lachen!«
    Manchmal sah Febrer, wenn er die Augen öffnete, die zusammengekauerte Gestalt von Pèps Frau unbeweglich am Fußende des Bettes sitzen. Sobald sie seinen gläsernen Blick bemerkte, lief sie zu einem mit Fläschchen bedeckten Tisch. Ihre Liebe äußerte sich durch den ständigen Wunsch, ihm sämtliche verordnete Arzneien der Reihe nach einzugeben.
    Erblickte Jaime aber das Gesicht Margalidas, so überkam ihn ein Wohlgefühl, das ihm half, eine kurze Zeit wachzubleiben. Ihre schönen, durch Angst und Nachtwachen mit blauen Ringen umgebenen Augen schienen ihn um Gnade anzuflehen. »Alles meinetwegen!« sagte sie mit gepreßter Stimme.
    Sie näherte sich ihm zögernd, aber ohne zu erröten, als hätten die ungewöhnlichen Umstände ihr früheres Zurückschrecken besiegt, strich die Decke glatt, gab ihm zu trinken und hielt mit mütterlicher Hand seinen Kopf, während sie mit der anderen sein Kissen ordnete. Mit dem Finger am Mund legte sie ihm Stillschweigen auf, wenn er sprechen wollte.
    Einmal ergriff Febrer ihre Hand und küßte sie lange und innig. Margalida wagte nicht, sie zurückzuziehen,hob nur den Kopf, um die Tränen in ihren Augen zu verbergen, und seufzte leise: »Ich bin schuld an allem!«
    Aber die Anstrengung war zuviel für Jaime gewesen. Sein Blick wurde trüb. Er fiel in einen unruhigen Schlaf. Schweres Alpdrücken quälte ihn und entriß ihm dumpfes Stöhnen und laute Angstschreie. Das Delirium war eingetreten. Häufig erwachte er für eine Sekunde und fand sich aufrecht im Bett, von kräftigen Armen festgehalten. Doch sofort tauchte er wieder unter in die grauenhafte Schattenwelt. In diesen flüchtigen lichten Momenten erkannte er um sich herum die sorgenvollen Gesichter der Familie von Can Mallorqui. Dann wieder begegnete er den Augen des Arztes, und einmal glaubte er den Backenbart und die hellen Augen seines Freundes Pablo Valls vor sich zu haben.
    Sein durch das Fieber zerrüttetes Gehirn schien sich ständig zu drehen, und diese kreisende Bewegung erweckte in seinem verwirrten Gedächtnis ein Bild, das ihn früher oft beschäftigt hatte. Er sah ein Rad, ein enormes Rad, ungeheuer groß wie die Erdkugel, sich im Weltall drehen. Die Felge dieses Rades bildeten Millionen und Millionen aneinandergeschweißter Menschen, die ihre Glieder bewegten, um sich von ihrer Freiheit zu überzeugen, deren, Körper aber unlösbar aneinandergeschlossen waren. Besonders die Speichen fesselten Febrers Aufmerksamkeit wegen ihrer verschiedenen Form. Einige bestanden aus Schwertern, deren blutige Klingen Lorbeergirlanden umschlangen; andere aus Zeptern, mit Kaiser- und Königskronen geschmückt; wieder andere waren gebildet aus Stäben der Justiz, Rollen von aufeinandergesetzten goldenen Münzen, reich mit edlen Steinen verzierten Krummstäben,dem Symbol des göttlichen Hirtenamtes, seit die Menschen sich in Herden vereinigt hatten, um mit zum Himmel erhobenem Gesicht furchtsam zu blöken. Die Radnabe war ein großer, wie poliertes Elfenbein weißleuchtender Totenschädel, der unbeweglich blieb, während sich
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