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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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hinausragendes Vorgebirge, dessen Abhang auf der Landseite Pèp durch Anlegen von Terrassen nutzbar machen wollte. Auf der Kuppe stand der Piratenturm. Erinnerte der Herr sich nicht, wie oft er als Junge mit einem Knüppel in der Hand hinauf gestürmt war, um unter wildem Kampfgeschrei die Korsaren zu vertreiben?
    Einen Augenblick glaubte Febrer, ein in Vergessenheit geratenes Gut entdeckt zu haben. Nun lächelte er traurig. Der Piratenturm! Ein Felsen aus Kalkstein, in dessen Spalten wilde Pflanzen wucherten, ein Schlupfwinkel der Buschkaninchen. Die Sturmwinde, die vom Meer über ihn hinwegfegten, hatten aus der alten Befestigung eine Ruine gemacht. Als Can Mallorquí verkauft wurde, war der Turm nicht in den Kontrakt aufgenommen worden. Vielleicht hatte man ihn damals vergessen, da er von keinerlei Nutzen war.Mochte Pèp damit machen, was er wollte; er selbst würde niemals an diesen Ort, den er schon ganz vergessen hatte, zurückkehren.
    Als Pèp trotzdem anfing, von Pachtzahlungen zu reden, wehrte Jaime mit einer herrischen Geste ab und wandte sich zu Margalida. Sie war in der Tat auffallend hübsch und sah aus wie eine junge Dame, die als Bäuerin verkleidet war. Die Burschen auf Ibiza machten ihr wohl sehr den Hof? Der Vater lächelte stolz über dieses Lob.
    »Begrüße unsern Herrn, Kleine! Wie sagt man?«
    Er sprach zu ihr wie zu einem Kinde, und sie, mit niedergeschlagenen Augen, hob errötend einen Zipfel ihrer Schürze und murmelte mit zitternder Stimme im Dialekte von Ibiza:
    »Nein, nein, ich bin nicht hübsch. Ich bin die Dienerin von Euer Gnaden.«
    Febrer beendigte die Unterhaltung und befahl Pèp, er solle mit den Kindern nach seinem Hause gehen. Von früher her kannte Pèp ja Madó Antonia, und die Alte würde sich sicher sehr freuen, ihn zu sehen. Was das Essen anbelangte, so müßten sie sich mit dem zufrieden geben, was Madó im Hause hätte. Abends würde er von Valldemosa zurückkehren und hoffte, sie dann noch zu sehen.
    »Auf Wiedersehen, Pèp! Auf Wiedersehen, Kinder!«
    Mit dem Stock winkte er einem Kutscher, der auf dem Bock eines Wagens saß, wie man sie nur auf Mallorca findet, sehr schnelle Fuhrwerke mit vier hohen Rädern, überspannt von einem fröhlichen Verdeck aus weißem Segeltuch.

II.
    Sobald Palma hinter ihm lag, bekam Febrer angesichts der wunderbaren Frühlingsflur Gewissensbisse über die Art, wie er sein Leben führte. Seit einem Jahr war er nicht aus der Stadt herausgekommen. Die Nachmittage verbrachte er in den Cafés am Borne, die Nächte im Spielsaale des Kasinos.
    Heute bereute er, nie daran gedacht zu haben, die schöne Landschaft vor den Toren von Palma aufzusuchen. In den Feldern von zartem Grün murmelten leise Quellen. Am tiefblauen Himmel schwammen weiße Federwölkchen. Die Windmühlen auf den dunkelgrünen Hügeln drehten eifrig ihre Flügel. Dies Bild wurde begrenzt durch steile Höhenzüge, die in der Sonne rot aufleuchteten. Mit Recht hatten die alten Seefahrer, als sie diese anmutige Landschaft kennenlernten, Mallorca »die glückliche Insel« genannt.
    Jaime schmiedete Pläne für die Zukunft, wenn er durch die Heirat in den Besitz eines großen Vermögens gelangt sein würde. Das schöne Gut Son Febrer wollte er zurückkaufen und einen Teil des Jahres wie seine Vorfahren dort zubringen, um das einfache und gesunde Leben eines Landedelmanns zu führen, freigiebig und von allen geachtet.
    Sein Wagen, dessen Pferde in scharfem Trab gingen, überholte eine lange Reihe von Landleuten, die aus der Stadt zurückkehrten. Schlanke braune Frauen. Über dem weißen Kopftuch trugen sie einen breitrandigen Strohhut, mit lang herabhängenden bunten Bändern und Feldblumen geschmückt. Die Männer waren in gestreiften Drillich gekleidet, die sogenannte Leinwand von Mallorca. Ihre Filzhüte hattensie so weit zurückgeschoben, daß die glattrasierten Gesichter wie aus einem schwarzen oder grauen Rahmen hervorsahen.
    Febrer erinnerte sich aller Einzelheiten dieses Weges, trotzdem er seit Jahren nicht mehr dort gewesen war. Ein Stück weiter teilte sich die Straße, links führte der Weg nach Valldemosa, rechts nach Soller.
    Soller! ... Wie dieser Name die schönste Zeit seiner Kindheit wieder auferstehen ließ! Jedes Jahr verlebte seine Familie dort den Sommer in ihrem Landhause, der Mondvilla, deren Name von dem steinernen Halbkreise mit Augen und Nase herrührte, der sich über dem Portal befand.
    Zwischen Palma und Soller liegt ein langgestreckter Hügel. Wenn der
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