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Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition)
Autoren: David Vann
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    G alen wartete unter dem Feigenbaum auf seine Mutter. Zum hundertsten Mal las er Siddhartha ; der junge Buddha, der in den Fluss blickt. Er spürte die mächtige Präsenz des Feigenbaums, lauschte dem Nicht-Wind, der Stille. Sommerhitze, die alles nach unten drückte, die Erde plan. Ein Schweißfilm praktisch am ganzen Körper, glitschig.
    Dieses alte Haus, die Bäume uralt. Vom langen Gras juckende Beine. Aber er versuchte, sich zu konzentrieren. Den Nicht-Wind zu hören. Nur zu atmen. Das Nicht-Ich vorüberziehen zu lassen.
    Galen, rief seine Mutter im Haus, Galen.
    Er atmete tiefer, versuchte, seine Mutter vorüberziehen zu lassen.
    Ach, da bist du, sagte sie. Wie wär's mit Tee?
    Er antwortete nicht. Konzentrierte sich auf seinen Atem, hoffte, sie würde weggehen. Allerdings wartete er ja hier auf sie, wartete auf den Tee.
    Hilf mir mit dem Tablett, sagte sie, also ließ er seufzend das Buch sinken und stand auf, die Beine steif vom Schneidersitz.
    Da bist du ja, sagte sie, als er in die Küche trat. Altes Holz, das sich unter seinen bloßen Füßen bog. Rau von abblätterndem Lack. Er nahm das Tablett, das schwere alte Silber, die verzierte Silberteekanne, die weißen Porzellantassen, all das deprimierende Zeug, und als er mit vollen Händen dastand, beugte sie sich von hinten zu ihm und gab ihm einen Kuss, ihre Lippen an seinem Hals und dazu ihr kleines Schniefen, das niedlich sein sollte und ihn zusammenzucken ließ, innerlich aufheulen. Aber er ließ das Tablett nicht fallen. Er trug es zum schmiedeeisernen Tisch im Schatten der Feige, gleich neben der Wand des Schuppens mit der kleinen Wohnung im Dachboden. Er überlegte, hierher zu ziehen, weg von ihr, raus aus dem Haus.
    Jetzt war sie neben ihm, seine Mutter mit den Häppchen, Gurke und Brunnenkresse. Sie waren nicht in England. Hier war nicht England. Sie waren in Carmichael, einem Vorort von Sacramento, in Kalifornien, im Central Valley, einer langgestreckten, heißen Senke Stumpfsinn, erdenklich weit weg von England, doch jeden Nachmittag tea time . Sie stammten nicht mal aus England. Die Großmutter aus Island, der Großvater aus Deutschland. Nichts in ihrem Leben würde jemals zusammenpassen.
    Setz dich, sagte seine Mutter. Schöne Lektüre?
    Sie schenkte ihm Tee ein. Sie trug Weiß. Eine sommerliche weiße Bluse zu einem langen Kleid, alles weiß, mit Sandalen. Bauschige Oberschenkel, ihre untere Hälfte wuchs schneller als die obere.
    Ein Sandwich, sagte sie. Du musst was essen.
    Die Häppchen mit abgeschnittenen Kanten. Gurke und Frischkäse. Selbst, wenn er hungrig gewesen wäre, hätte das ganz weit unten auf seiner Liste aller auf der Welt erhältlichen Lebensmittel gestanden.
    Du siehst abgemagert aus.
    Er kehrte zum Atem zurück. Wann immer sie sprach, kehrte er zu seinem Atem zurück, dem Ausatmen, um alle Bindung an die Welt entweichen zu lassen. Er atmete zehn Mal aus, dann nippte er an seinem Tee, der heiß war und minzig und süß.
    Du hast ganz eingefallene Wangen, und es sieht aus, als hättest du Knochen vorne am Hals.
    Ich habe keine Knochen vorne am Hals.
    Aber es sieht so aus. Du musst was essen. Und du musst dich duschen und rasieren. Du bist so ein hübscher Junge, wenn du dir ein wenig Mühe gibst.
    Der Atem beschleunigt, die Wut stets ein Auflodern, breiter in Nacken und Schultern, die Schädeldecke weg. Er könnte alles sagen in solchen Augenblicken, aber er bemühte sich, nichts zu sagen.
    Es ist bloß Essen, Galen. Himmel noch mal, da ist nichts bei. Schau her, ich zeig's dir. Und sie hob ein Gurkenhäppchen in die Luft, ein kleines Viereck, das sie sich langsam in den Mund schob.
    Galen blickte auf seine Teetasse, der Tee eine Art Fleck im Wasser, dunkler zum Boden hin. Welke grüne Minzblätter, borkig mit winzigen Höckern. Die Welt eine große Flut, in der nichts stillstand, nie. Die sich nicht kontrollieren, die sich nicht aufhalten ließ. Die anschwoll und sich zusammenzog, sich ballte. Das Semester fängt in einem Monat an, sagte er. Ich sollte aufs College gehen. Und nicht noch ein beschissenes Jahr damit zubringen, Tee zu trinken.
    Nun, du kannst gern gehen.
    Wir haben kein Geld. Schon vergessen?
    Das ist nicht meine Schuld. Wir behelfen uns mit dem, was wir haben. Und wir wohnen an diesem wunderschönen Ort, ganz für uns.
    Jeder andere wäre mir lieber.
    Seine Mutter hob das Löffelchen und rührte in ihrem Tee, und Galen wartete. Warum willst du mich kränken?, fragte sie.
    Die Luft war nicht
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