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Die Todesliste

Die Todesliste

Titel: Die Todesliste
Autoren: Frederick Forsyth
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Zimmer des Dorfältesten. Er sah ein Bett, bezogen, aber leer, die Decke beiseitegeworfen.
    In einer Feuerstelle glühte noch Asche, leuchtete schmerzhaft weiß in seiner Brille. In einem großen Holzsessel daneben saß ein alter Mann und beobachtete ihn. Sie starrten einander ein paar Sekunden lang an, dann sprach der alte Mann leise und ruhig.
    »Du kannst mich erschießen. Ich bin alt, und meine Zeit ist gekommen.« Er sprach Somali, doch dank seiner Arabischkenntnisse konnte der Spürhund ungefähr verstehen, was der Alte sagte. Er antwortete ihm auf Arabisch.
    »Ich will dich nicht erschießen, Scheich. Du bist nicht der, den ich suche.«
    Der alte Mann schaute ihm furchtlos ins Gesicht. Was er sah, war natürlich ein tarnfarbenes Ungeheuer mit Froschaugen.
    »Du bist ein kafir , aber du sprichst die Sprache des heiligen Koran.«
    »Das stimmt, und ich suche einen Mann. Einen sehr bösen Mann. Er hat viele ermordet. Auch Muslime, Frauen und sogar Kinder.«
    »Habe ich ihn gesehen?«
    »Du hast ihn gesehen, Scheich. Er war hier. Er hat« – der alte Mann hatte sicher noch keinen Bernstein gesehen –, »er hat Augen mit der Farbe von frisch gewonnenem Honig.«
    »Ah.« Der alte Mann winkte geringschätzig ab, als wischte er etwas beiseite, das ihm nicht gefiel. »Er ist zu den Frauenkleidern gegangen.«
    Eine Sekunde lang war die Enttäuschung wie ein Schlag in die Magengrube. Entkommen, in eine Burka gehüllt, versteckt in der Wüste, unauffindbar. Doch dann sah er, dass der alte Mann nach oben schaute, und er verstand.
    Wenn die Frauen des Dorfes ihre Kleider im Wasser des Brunnens wuschen, wagten sie nicht, sie draußen auf dem Platz zum Trocknen aufzuhängen, denn die Ziegen, die den stachligen Kameldorn fraßen, würden sie in Fetzen reißen. Also stellten sie Gerüste auf die flachen Dächer.
    Der Spürhund lief durch die Tür auf der anderen Seite hinaus. An der Seite des Hauses führte eine Treppe nach oben zum Dach. Er lehnte sein M4 an die Wand und zog die Pistole. Die Gummisohlen seiner Springerstiefel machten kein Geräusch auf den Lehmziegelstufen. Auf dem Dach sah er sich um. Da waren sechs Trockengestelle.
    Im Zwielicht untersuchte er sie alle. Auf den aus Zweigen konstruierten Gestellen hingen Kleidungsstücke, dschalabib für die Frauen, makaui für die Männer. Eins der Gestelle sah größer und schmaler aus. Daran hing ein langes weißes pakistanisches salwar kamiz , es hatte einen Kopf und einen buschigen Bart, und es bewegte sich. Und dann passierten drei Dinge gleichzeitig, so schnell, dass es ihn beinahe das Leben gekostet hätte.
    Der Mond kam endlich hinter den Wolken hervor. Ein Vollmond, strahlend weiß. Mit seinem Nachtsichtvermögen war es in einer Sekunde vorbei. Das konzentrierte Licht seiner Brille blendete ihn.
    Der Mann vor ihm griff an. Der Spürhund riss sich die Nachtsichtbrille herunter und hob die dreizehnschüssige Browning. Der Angreifer hatte den rechten Arm erhoben, und in seiner Hand blitzte etwas.
    Der Spürhund drückte ab. Der Bolzen fiel auf eine leere Kammer. Ladehemmung – und als er wieder abdrückte, gleich noch einmal. Das war selten, aber möglich. Er wusste, dass ein volles Magazin in der Waffe steckte, doch in der Kammer war keine Patrone.
    Mit der linken Hand packte er ein baumwollenes Gewand, knüllte es zusammen und warf es auf die herabsausende Messerklinge. Der Stahl traf den flatternden Stoff, der sich um das Messer wickelte, sodass es stumpf auf seine Schulter traf. Mit der rechten Hand warf er die Browning weg und zog das Kampfmesser der U. S. Marines aus der Scheide an seinem Oberschenkel, fast das Einzige, was er von den Dingen, die er aus London mitgebracht hatte, noch bei sich trug.
    Der Bärtige benutzte kein dschambija , das kurze, krumme, hauptsächlich als Zierde dienende Messer des Jemen, sondern ein billao , ein großes, rasierklingenscharfes Messer, das nur Somalis verwenden. Zwei Schnitte mit einem Billao können einen Arm abtrennen, ein Stich, und die nadelspitze Klinge durchdringt den Oberkörper von vorn bis hinten.
    Der Angreifer wechselte den Griff und drehte sein Handgelenk so, dass die Klinge einen Stoß von unten nach oben führen konnte, wie es ein Streetfighter tun würde. Der Spürhund konnte wieder besser sehen. Er sah, dass der Mann vor ihm barfuß war. So fanden seine Füße guten Halt auf den Lehmziegeln des Daches. Aber seine eigenen Gummisohlen waren genauso gut.
    Der nächste Angriff des Billao kam schnell und zielte
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