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Die Tochter des Fälschers

Die Tochter des Fälschers

Titel: Die Tochter des Fälschers
Autoren: Carl Heigel
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ist mir Wohlgeruch, das Geräusch des Handels und der Fabriken Musik.“
    „ C’est drôle ,“ sagte die Baronin.
    „Nur einem Uebel kann man nirgends entfliehen,“ fuhr Jener mit gutmüthigem Lächeln fort, „es verfolgt uns in Dorf und Stadt: der Clavierdilettant. Wie genußvoll z. B. ist dieser Morgen, in reizender Umgebung, an der Seite meines würdigen Freundes und Gönners – da martert sich und uns irgend eine schöne Mitbewohnerin Ihres Hauses, indem sie mit grausamer Consequenz die Scalen leiert.“
    Der General brach in ein Gelächter aus, so herzlich, daß ihm Thränen in die Augen traten; seine Gemahlin dagegen schoß einen wüthenden Blick auf den armen Michaelis.
    „Kostbar!“ rief der Erste, immer auf’s Neue lachend. „Kostbar! Pardon, bester Doctor – aber Ihrer Kritik stimme ich aus ganzer Seele bei, obwohl die unglückliche Flügelspielerin – meine – meine eigne Tochter ist.“
    „Donnerwetter!“ fuhr Michaelis heraus. „Entschuldigen Sie, Excellenz,“ stotterte er verlegen, „ich wußte nicht –“
    „Daß ich eine Tochter habe und daß nur wir das Haus bewohnen,“ unterbrach ihn gutmüthig der Baron. „Warum haben Sie nicht früher schon bei uns angepocht! Uebrigens, mein gelehrter Freund, wenn auch meine Nerven gegen das nothwendige Uebel bereits abgestumpft sind, so soll, wenn Sie kommen, keine Taste –“
    „Ich werde Mademoiselle Günther befehlen die Lection zu beenden,“ sagte die Baronin kalt und erhob sich.
    „Um Himmels willen nicht!“ bat Michaelis. „Verrathen Sie meine Barbarei nicht weiter! Nannten Sie die Lehrerin nicht Günther? Fräulein Günther?“
    „O,“ fiel der General ein, „Sie müssen sie kennen; sie ist aus B…“
    Michaelis stand rasch auf und machte einen Schritt gegen die Thür hin. „Aus B…?“ rief er. Der General bejahte es und setzte hinzu, daß dieser Umstand ihn, den musikalischen Ignoranten, bestimmt habe, das Mädchen zu seiner Tochter Lehrmeisterin zu wählen.
    [ 52 ] [ 66 ] [ 67 ] Hoffnung, die Geschichte seines Herzens jemals versöhnungsvoll zu schließen. Die Superintendentin jedoch, die kluge, stolze Frau, verlor trotz der blassen Wangen, trotz der zunehmenden Düsterkeit ihres Sohnes die Zuversicht zur Heilkraft der Zeit nicht. Was sind ihr unsichtbare, unblutige Wunden! Warum soll der Schmerz um ein armes, kindisches Mädchen nicht zum Schweigen gebracht werden können? Hat sie selbst doch Eltern und Gemahl verloren und ist aufrecht geblieben! Manchmal blickte sie ihren gramgebeugten Sohn fast höhnisch an, indem sie daran dachte, wie anders sie einen so nichtssagenden, erbärmlichen Fall wie Herzweh zu verwinden wußte!
    Die Schatten, welche auf dem Pfarrhaus ruhten, wurden immer finsterer. Selbst der Kanarienvogel in Reinhold’s Wohnstube schien von der Schweigsamkeit angesteckt. Er sang nur selten mehr, verstummte zuletzt ganz und lag eines Morgens todt im Bauer. „Du hast ihn in der letzten Zeit zu füttern vergessen!“ sagte trocken die Superintendentin.
    Des Rendanten Sterbetag jährte sich. Frau Reinhold saß wie gewöhnlich am Fenster, las in der Bibel oder blickte auf den stillen Platz hinab. Ihr Sohn aber ließ sich durch die Magd entschuldigen, schloß sich in seine Stube ein und erschien nicht zu Tisch. „Wegen der Günther!“ dachte sich die Greisin, voll Entrüstung über die Sentimentalität der Männer.
    Er saß über Actenbündeln, welche Gemeindesachen betrafen. Doch bemühte er sich vergebens, seine schwermüthigen Gedanken durch Arbeit fern zu halten. In der vierten Stunde des Nachmittags warf er die Feder fort und eilte in’s Freie.
    Noch war in diesem Jahr kein Schnee gefallen. Heute wirbelten die ersten Flocken, zergingen jedoch, sowie sie den Boden berührten. Ein stürmischer Wind wehte über die kahlen Gefilde, und ruhlos flogen die Wolken. Auf Feldwegen umging Reinhold die Stadt, um den Krümmungen des Flusses nachzuschreiten, bis zum Hügel, welchen das fürstliche Schloß krönt. Auf der Heerstraße kehrte er zurück. Auch auf ihr war es menscheneinsam wie auf den Feldern, einsam, aber nicht friedevoll. Im Windesbrausen ächzten die Alleebäume und raschelte das dürre Laub, hungrige Elstern hüpften über den Weg oder saßen auf dem Geäst; ein Schuß klang vom fernen Wald her, und sie flogen kreischend feldeinwärts.
    Reinhold gedachte der Nacht, da er mit dem Doctor diesen Weg zum kranken Günther eilte. „Das war der Dunkelheit Anbruch,“ sagte er. „O, was ist des
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