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Die Tochter des Fälschers

Die Tochter des Fälschers

Titel: Die Tochter des Fälschers
Autoren: Carl Heigel
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Menschen Selbstvertrauen und Zuversicht auf geistige Errungenschaften, wenn des Lebens Stürme über ihn kommen! Wie ruhig in der Gewißheit meines Glaubens folgte ich früher den Speculationen des Verstandes! wie belächelte ich das vergebliche Mühen der Philosophen, die letzte Frage nach des Weltlaufs Urgrund und Ziel zu lösen! Jetzt drängt mir das lebendige Schicksal die Fragen auf: Was ist Glück und Unglück, Recht und Schuld? und meine Glaubensseligkeit schwindet, mein Herz schwankt in Zweifeln! – Priester müssen glücklich sein. – Ja, wenn mein Schmerzenskampf nur eine Prüfung wäre! Aber ich habe bereits
gewählt
. Recht oder falsch – mein Herz ist fürder nicht mit meiner Pflicht.“
    Er näherte sich dem Kirchhof. Nach kurzem Zandern schlug er den Seitenpfad dahin ein. Schon war die Nacht angebrochen, und am Himmel kämpfte das Mondlicht mit dem Gewölk. In raschem Wechsel huschten Licht und Schatten über das Todtenfeld, das der Pastor gesenkten Hauptes jetzt langsam durchschritt. Günther’s Grab lag am Ende des Todtenackers, am eingrenzenden, altersgrauen Gemäuer. Schon stand Reinhold dicht dabei, da riß wieder der Wolkenschleier, und in der Mondeshelle sah Jener plötzlich eine verhüllte Gestalt sich erheben und ihm abwehrend den Arm entgegenstrecken.
    „Scybylski!“ rief Reinhold überrascht.
    „Ja, Scybylski,“ erwiderte der einsame Friedhofsgast. „Ich habe ein Recht, heute an diesem Grabe zu knieen. Was aber wollen Sie hier?“
    „Mit Ihnen gemeinschaftlich beten,“ sagte der Pastor verwirrt und niedergeschlagen.
    „Ich habe keine Gemeinschaft mit Ihnen,“ versetzte der Andere, „und auch der hier unten hat nichts mehr mit Ihnen gemein. Sie sind hier dem Todten wie dem Lebendigen ein Aergerniß.“
    „Scybylski – –!“
    „Gehen Sie!“ rief dieser unwillig aus. „Sie trennten sich von diesem Mann, von seinem Kind und seinem Unglück. Es ist kein Platz für Sie an Günther’s Grab.“
    Ein Seufzer entrang sich Reinhold’s Brust. „Wenn Sie wüßten!“ sagte er und fuhr mit der Hand über die feuchten Augen.
    „Herr!“ fuhr Scybylski heraus. „Sie reden sich wohl ein,
Sie
seien der Unglückliche? Amanda hat wohl
Sie
gekränkt,
Sie
verlassen? In der warmen Stube, in Hülle und Fülle sitzend den Märtyrer spielen, das kann Jeder. Ein Mann aber – hören Sie, ein Mann! – würde gegen das Unglück ankämpfen, würde trotz Mutter und Consistorium dorthin gehen, wo dieses Todten Tochter ist, und des Vaters Schuld als sein besserer Sohn vergessen machen. So lange Sie das nicht thun, haben Sie kein Recht, hier zu knieen und zu weinen. Ich wiederhol’ es, kein Recht! Ihre Mutter hat vor Jahresfrist meine gutmüthige Schwäche ausgebeutet und verrathen; Dank dieser Lehre, bin ich jetzt kalt und hart geworden. Verlangen Sie also nicht Mitleid von mir, sondern gehen Sie!“
    „Scybylski,“ sagte der Pastor erregt, aber ohne Zorn; „leicht wär’ es mir, mein Recht, hier eines Jeden Recht, zu behaupten; aber die Ruhe der Todten ist mir heilig. Freiwillig trete ich daher zurück; versöhnt einst, hoffe ich, werden Sie mir über diesem Hügel die Hand reichen. Leben Sie wohl!“ Er ging.
    Scybylski sah dem Prediger finster nach, bis er zwischen den Grabmälern entschwnuden war, dann beugte er wiederum sein Haupt zu Günther’s Grab nieder.
    „Ich,“ flüsterte er, „ich habe Dein Kind geliebt.“
    10.
    Es klingelte.
    „Das ist Amanda,“ sagte der Arzt und kehrte an seinen Arbeitstisch zurück.
    Es war der zweite Weihnachtsabend seit Günther’s Tod. Konnte Doctor Michaelis vor Jahresfrist von seinem Gemach frei über weite, stille Schneefelder blicken, an deren Horizont nur als schmaler, dunker Streif mit wenig Lichtpunkten sich ein Städtchen erhob: so sah er heute dagegen in eine engbegrenzte, aber um so lichtere, bunte Welt. Unter seinen Fenstern dehnt sich mit schneebedeckten Lindenreihen der Hauptplatz der Residenzstadt aus. Die Gaslaternen und glänzend erleuchteten Schauläden verbreiten Tageshelle. Im Gegensatz zu der stillen Weihnacht auf dem Lande wogt und rasselt es hier rastlos dahin. Kein Augenblick läßt die Luft unerschüttert; tausendfältige Töne durchkreuzen sie; das Summen der durcheinander schwirrenden Fußgänger, das Gekreisch der Verkäufer, das Rollen der Wagen wächst zum sinnbetäubenden Getös an, das in der Höhe wieder in einem gewissen, eintönigen Rhythmus zusammenschlägt, wie der Wellengesang des Meeres.
    Den greisen Gelehrten
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