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Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm

Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm

Titel: Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
Autoren: Åsa Larsson
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Und es ward Abend, und es ward Morgen, das war der erste Tag.
    DASS ER STIRBT, passiert Viktor Strandgård durchaus nicht zum ersten Mal. Er liegt in der Kirche der Kraftquelle auf dem Rücken und schaut durch die riesigen Dachfenster hoch droben. Nichts scheint ihn von dem düsteren Winterhimmel über ihm zu trennen.
    Näher als jetzt kann man gar nicht kommen, denkt er. Wenn man die Kirche auf dem Felsen am Ende der Welt erreicht hat, dann ist der Himmel so nah, dass man fast die Hand ausstrecken und ihn berühren kann.
    Das Nordlicht schlängelt sich wie ein Lindwurm durch die Nacht. Sterne und Planeten müssen ihm weichen, diesem gewaltigen Wunder aus funkelndem Licht, das sich gelassen seinen Weg durch das Himmelsgewölbe bahnt.
    Viktor Strandgård folgt dieser Wanderung mit seinen Augen.
    Ob es wohl singt, überlegt er. Wie ein einsamer Wal unter dem Himmel?
    Und als hätten seine Gedanken es erreicht, hält das Nordlicht für eine Sekunde inne. Unterbricht seine unaufhaltsame Reise. Betrachtet Viktor Strandgård aus kalten Winteraugen. Denn er ist wahrlich schön wie eine Ikone, wie er so daliegt. Das dunkle Blut wie ein Heiligenschein um seine langen blonden Luciahaare. Jetzt spürt er seine Beine nicht mehr. Er ist unendlich müde. Er hat keine Schmerzen.
    Seltsamerweise denkt er an seinen ersten Tod, während er hier liegt und dem Lindwurm ins Auge schaut. Damals fuhr er im Spätwinter auf dem Rad den langen Hang auf die Kreuzung von Adolf Hedinsvägen und Hjalmar Lundbohmsvägen zu.
    Fröhlich und fromm und mit der Gitarre auf dem Rücken. Er weiß noch, wie sein Rad hilflos über das Eis glitt, als er zu bremsen versuchte. Wie er sie von rechts kommen sah, die Frau in dem roten Fiat Uno. Wie sie einen Blick tauschten, wie beide im Auge des Gegenübers die Erkenntnis registrierten, jetzt beginnt sie, die eisige Rutschfahrt in den Tod.
    Mit diesem Bild vor Augen stirbt Viktor Strandgård zum zweiten Mal in seinem Leben. Schritte nähern sich, aber die hört er nicht. Seine Augen brauchen das funkelnde Messer nicht einmal zu sehen. Wie eine leere Schale liegt sein Körper auf dem Kirchenboden und wird durchbohrt. Wieder und wieder. Und der Lindwurm nimmt gelassen seine Wanderung über das Himmelsgewölbe wieder auf.

Montag, 17. Februar
    REBECKA MARTINSSON wurde von ihrem Keuchen geweckt, als die Unruhe ihren Körper erfasste. Sie riss in der Dunkelheit die Augen auf. Genau an der Grenze zwischen Traum und Wachen hatte sie das deutliche Gefühl, dass da jemand in ihrer Wohnung war. Sie blieb ganz still liegen und lauschte, aber sie hörte nur ihr eigenes Herz, das wie ein verängstigter Hase durch ihre Brust zu jagen schien. Ihre Finger tasteten nach dem Wecker auf dem Nachttisch und fanden den kleinen Leuchtknopf. Viertel vor vier. Vier Stunden zuvor war sie schlafen gegangen, und nun war sie bereits zum zweiten Mal aufgewacht.
    Das liegt an der Arbeit, dachte sie. Ich arbeite zu viel. Und deshalb kommen meine Gedanken nachts ebenso wenig zur Ruhe wie ein Hamster in einem ungeölten Laufrad.
    Ihr Kopf und ihr Nacken taten weh. Offenbar hatte sie im Schlaf mit den Zähnen geknirscht. Da konnte sie auch gleich aufstehen. Sie wickelte sich in ihre Decke und ging in die Küche. Ihre Füße fanden den Weg auch im Dunkeln, deshalb brauchte sie kein Licht. Sie schaltete Kaffeemaschine und Radio ein. Immer wieder erklang das Pausensignal, wie ein tonloser Gebetsruf, während das Wasser in den Filter tropfte und sie duschte.
    Ihre langen Haare mussten von selbst trocknen. Sie trank Kaffee und zog sich gleichzeitig an. Während des Wochenendes hatte sie ihre Garderobe für die kommende Woche gebügelt und in den Schrank gehängt. Jetzt war Montag. Auf dem Montagskleiderbügel hingen eine kreideweiße Bluse und ein marineblaues Kostüm von Marella. Sie schnupperte an ihren Strümpfen vom Vortag, die mussten noch einen Tag halten. Sie beulten am Spann ein wenig aus, aber wenn sie sie straff zog und unter ihren Fuß stopfte, fiel das nicht weiter auf. Sie durfte eben tagsüber ihre Schuhe nicht abstreifen. Aber das war nicht wichtig. Um Unterwäsche und Strümpfe könnte sie sich noch Gedanken genug machen, wenn die Möglichkeit bestand, dass jemand ihr beim Ausziehen zusehen würde. Ihre Unterwäsche war verwaschen und grau.
     
    Eine Stunde später saß sie in ihrem Büro am Computer. Der Text plätscherte wie ein Gebirgsbach durch ihren Kopf, durch ihre Arme und bis hinaus in ihre über die Tastatur jagenden Finger.
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