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Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga

Titel: Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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stimmte hier nicht.
    Katharinas Schritte wurden langsamer, je näher sie dem ersten der Handvoll einfacher Gebäude kam. Es war still, viel zu still, selbst für diese fortgeschrittene Stunde. Nicht einmal aus den Ställen drang auch nur der geringste Laut an ihr Ohr. Ihr Herz klopfte.
    Beinahe auf Zehenspitzen näherte sie sich dem ersten Haus, hielt vor der aus nur drei Stufen bestehenden Treppe noch einmal inne und legte dann behutsam die flache Hand auf die Tür. Quietschend schwang sie auf ihren ledernen Angeln nach innen, und vollkommene Dunkelheit und der Gestank nach Gewalt und Tod schlug ihr entgegen.
    Da es das erste war, erschien ihr dieses Haus als das schlimmste, doch im Grunde unterschied es sich nicht von dem Dutzend weiterer Häuser, die sie der Reihe nach und fast akribisch durchsuchte. Es war überall dasselbe: Sie alle waren tot. Die Dämonen hatten keine Gnade walten lassen, weder Männern noch Frauen, noch Kindern oder Alten gegenüber. Selbst die Tiere waren den Schwertern und Keulen der höllischen Heerscharen zum Opfer gefallen. Sie war zu spät gekommen. Graf Ellsbusch hatte ihr aufgetragen, die Menschen hier zu warnen, und sie hatte zum zweiten Mal versagt. In diesem Dorf lebte nichts mehr.
    Bitterkeit überkam sie, als sie aus dem letzten Haus trat und sich der gedrungenen steinernen Kirche im Zentrum zuwandte. Sie verstand jetzt, warum sie noch lebte. Gott hatte gewollt , dass sie all das hier sah. Zweifellos hatte er selbst den Dämon daran gehindert, sie zu töten, damit sie hierherkam und mit eigenen Augen sah, welch entsetzlichen Preis die Menschen hier für ihr Versagen bezahlt hatten. Die zweigeteilte Tür stand weit offen, und die Dunkelheit war hier drinnen nicht ganz so vollkommen wie in den meisten anderen Häusern, gab es doch auf jeder Seite drei schmale, aber sehr hohe Fenster, durch die das bleiche Nachtlicht hereinströmte. Auf jeden Fall war es hell genug, umsie erkennen zu lassen, was die Dämonen diesem heiligen Ort und vor allem seinem Beschützer angetan hatten. Der einfache hölzerne Altar war umgestürzt und zerstört, und das mehr als mannshohe Kreuz war umgefallen und lag auf dem Boden. Es sah irgendwie … falsch aus, aber erst, als Katharina es schon halb erreicht hatte, sah sie, warum.
    Es war nicht nur das Kreuz, das auf dem Boden lag. Sein Herr und Beschützer lag mit ausgebreiteten Armen auf ihm, und Katharina konnte frisches Blut riechen und – als sie näher kam – ein gedämpftes Stöhnen hören. Dann, als sie noch näher kam, entrang sich auch ihren ein Lippen ein ähnlicher Laut, als sie sah, wie grausam die Dämonen den heiligen Mann bestraft hatten. Sie hatten ihn nicht mit Schwert oder Keule niedergestreckt, sondern das düstere Versprechen des Kreuzes wahr gemacht, indem sie seine Hände und Füße daran festgenagelt hatten.
    »Oh mein Gott«, hauchte Katharina. Sie merkte nicht einmal, dass sie neben Vater Cedric auf die Knie sank und die Hände nach ihm ausstreckte, ohne dass sie indes den Mut aufbrachte, ihn wirklich zu berühren.
    »Das … das wollte ich nicht!«, stammelte sie. »Vater, glaubt mir … das alles wollte ich nicht.«
    Im ersten Moment war es, als hätte Vater Cedric sie gar nicht gehört. Er lag mit geschlossenen Augen da und stöhnte, begleitet von einem schrecklich rasselnden Atem. Dann jedoch drehte er mühsam den Kopf und sah Katharina an, und sein verschleierter Blick klärte sich.
    »Du?«, brachte er mühsam hervor. »Du … lebst?«
    Warum hatte sie das Gefühl, dass diese Worte vorwurfsvoll klangen? Und was war das, was sie in Vater Cedrics Augen las?
    »Bitte vergebt mir, Vater«, stammelte Katharina. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie hatte jetzt nicht einmal mehr Tränen. »Sie … sie sind alle tot. Sie haben sie alle … alle erschlagen. Die Festung brennt, und Graf Ellsbuschs Männer sind alle tot. Und … und ich glaube, Graf Ellsbusch auch.«
    »Du!«, keuchte Vater Cedric noch einmal »Du verdammtes, unglückseliges Kind! Warum …«
    »Es tut mir so leid, Vater«, flüsterte Katharina. »Ich wollte das nicht. Bitte, glaubt mir!«
    »Du!«, sagte der Priester zum dritten Mal, und diesmal klang es ganz eindeutig wie ein Fluch. »Gott verfluche den Tag, an dem du zu uns gekommen bist!« Und damit sank sein Kopf endgültig zurück, und sein Atem wurde flacher und verebbte schließlich ganz.
    Nun war sie endgültig die letzte Überlebende.
    Seltsam – der Schmerz, auf den sie wartete, kam nicht.
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