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Die Tochter der Konkubine

Die Tochter der Konkubine

Titel: Die Tochter der Konkubine
Autoren: Pai Kit Fai
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schnell aufgegessen.« Aggie
goss ihr aus einer Kanne mit einer gestrickten Teemütze starken Tee ein. Sie schenkte Sing ihr wunderbares Lächeln, schraubte eine Flasche Gin auf, fügte ihrem Tee einen guten Schluck davon hinzu und bot Sing mit einer hochgezogenen Augenbraue dasselbe an.
    »Nicht für Sie, denke ich … aber ein Segen für alte Knochen, glauben Sie mir.« Sie reichte Sing einen randvollen Becher und hob ihren eigenen. »Ich freue mich, dass Sie kommen konnten. Im Augenblick ist Shanghai ein unsicheres Pflaster. Zum Glück lässt man mich meistens in Ruhe.« Wieder lächelte sie. »Sie wissen nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollen, glaube ich.«
    Aggie war so groß und massig wie ihre Sessel und auch genauso einladend. Ihr rundes, gerötetes Gesicht sah wie frisch geschrubbt aus, und an ihren Ohren hatte sie das weiße Haar wie eine schwedische Milchmagd zu Zöpfen geflochten. Mit ihren keulenartigen Armen, die sie gemütlich vor einem riesigen Busen verschränkt hatte, sah sie - der Gedanke kam Sing unwillkürlich - wie eine sehr große Dampfnudel aus, direkt frisch aus dem Tuch.
    »Ich musste Ihnen ins Gesicht sehen … Ihnen in die Augen gucken, um zu wissen, dass Sie wirklich sein Kind sind. Ich sehe, Sie sind es. Und ich freue mich so darüber! Sie stehen, wie er stand, aufrecht und stolz!«
    Sie hievte sich aus dem Sessel, nahm Sing in ihre mütterlichen Arme und küsste sie auf die Wange. »Gott segne Sie … dies ist ein Tag, von dem ich dachte, er würde nie kommen!«
    »Mein Vater hatte Glück, eine Freundin wie Sie zu haben«, erwiderte Sing mit aufrichtigem Respekt. »Ich wäre dankbar für die Gelegenheit, über ihn zu sprechen und zu hören, was Sie über seine Todesumstände wissen, und vielleicht, wo er begraben liegt …«
    Aggie hob eine Hand, um sie zu stoppen. »Ich werde nicht nachfragen, wo Sie all die Jahre gewesen sind, oder wie Sie hierhergekommen sind. Sie sind hier, und das ist selbst schon ein Wunder.« Sie strahlte ihre Besucherin an. »Andererseits ist ja alles, was Ihren alten Herrn angeht, ein Wunder … Ich möchte, dass Sie jetzt einen kühlen Kopf bewahren, mein Kind. Ich muss Ihnen etwas sagen,
das keine Menschenseele wissen darf außer Ihnen.« Sing sah die alte Freundin des Vaters geduldig an.
    »Es heißt, der Fluss hätte in jener Nacht in Flammen gestanden - eine Flammenflut von Ufer zu Ufer. Die Golden Sky stand unter japanischem Beschuss, und sie und ihre aus Munition bestehende Fracht wurden vollkommen zerstört, und jeder an Bord sei darin umgekommen.«
    Bei der Erinnerung daran schüttelte sie den Kopf. »Jeder andere Mann wäre in dieser Nacht gestorben, nicht aber Ben Devereaux - irgendwie konnte er aus dem Flammenmeer herausschwimmen. Beim Morgengrauen zogen sie ihn aus der Bucht, wo er bei Ebbe zusammen mit dem Unrat angetrieben worden war. Er war noch in der Lage, ihnen meinen Namen zu nennen, folglich luden sie ihn hier mehr tot als lebendig ab.«
    Sing lauschte ihr, als befände sie sich in einem Traum. »Er hatte Verbrennungen davongetragen, wie ich sie bei einem lebenden Menschen noch nie gesehen hatte. Krankenhaus? Die hätten ihn sterben lassen - ihn von seinem Leiden erlöst. Zum Glück kenne ich mich mit Verbrennungen ein wenig aus. Das Problem war, dass seine Wunden brandig wurden. Ein mir bekannter Arzt nahm sich ihrer an, so gut er konnte.«
    Aggie stockte, als würde sie den Überblick über Erinnerungen verlieren, die zu schwer zu ertragen waren. »Wir haben uns da drüben um ihn gekümmert, er lag zunächst in einer Wanne mit Öl, drei Monate lang, dann den größten Teil des Jahres auf einem Bett aus Baumwolle.« Sie deutete mit dem Kopf zum Zimmer nebenan, dessen Tür mit einem Bambusvorhang verhangen war. »Man konnte ihn in dieser Zeit meistens nicht berühren … er überlebte einfach. Hundertmal dachte ich, er habe sich davongemacht. Die Schmerzen, an denen er litt … verzeihen Sie mir, Liebes, aber ich habe zu Gott gebetet, dass er ihn zu sich holen möge.« Sie schien mit den Tränen zu kämpfen. »Jedes Mal schlug er dann die Augen auf, um mir zu zeigen, dass er noch nicht so weit war.«
    Unvermittelt beugte Aggie sich vor. »Nun, er war nie so weit.
Er blickte dem Allmächtigen in die Augen und sagte nein … noch nicht. Ich habe ein Kind, für das ich leben muss!«
    Sing brachte die Frage kaum heraus. »Sie meinen …?«
    »Richtig, Liebes, Ihr Vater ist noch am Leben … nicht weiter als einen Steinwurf von hier
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