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Die Tochter der Konkubine

Die Tochter der Konkubine

Titel: Die Tochter der Konkubine
Autoren: Pai Kit Fai
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Sekunde ihrer Ausbildung gingen mit in den tödlichen Schlag des di-muk ein, der Todesberührung, die sie für diesen Augenblick der Wahrheit tausendmal geübt hatte.
    Sie fuhr durch verletzliches Fleisch zwischen den Muskeln, drang in Gewebe zwischen Knorpeln ein, durchstach gespannte Sehnen und erreichte die Nervenverbindung etwas über und hinter dem Zwerchfell und schnellte mit der Wucht einer Streitaxt zu seiner Lunge hinunter. Es war, als hätte Ah-Keung einen Stromschlag erhalten. Kein Ton entfuhr seinem weit aufgerissenen Mund, als er um seinen nächsten Atemzug rang und mit seinen verletzten, blutgefüllten Augen in die brennende Sonne starrte.
    In diesem Bruchteil einer Sekunde sprach die Stimme ihres si-fu erneut: Yan-jing-shi ist unversöhnlich. Wir müssen ihn schlagen, bevor er uns schlägt. Doch sie hörte ihn auch mit ruhigerer Stimme
unter dem Birnbaum sagen: Es ist nicht so einfach, ein Leben zu beenden und diese Tatsache auf ewig im Herzen zu tragen. Es ist die schwerste aller Lasten und lässt keinen Raum für Glück. Einen anderen Menschen zu töten ist das Ende der Freiheit …. Manchmal ist es der Verlierer, der gewinnt.
    Das Zielihres Schlages veränderte sich, vermied um Haaresbreite den Todespunkt tief hinter dem Brustkorb, der Herz und Lunge von Leber und Darm trennt, lenkte die Wucht vom tödlichen Eintrittspunkt ab. Wie eine gespannte Sprungfeder bog Ah-Keung sich zurück, offenbarte einem blauen Himmel das blutbeschmierte Gesicht des Tigers, als er nach Luft rang. Jeder Muskel in seinem Körper bebte, er wedelte hilflos mit den Händen. Ein heftiger Krampf packte ihn wie ein Blitzschlag; aus seiner gebrochenen Nase floss ungehindert Blut, sickerte aus seinem Mund, wo er sich in die Zunge gebissen hatte. Als er auf die Knie fiel, vor Ungläubigkeit zu nichts mehr fähig, und sich dann vor ihre Füße warf, trat Sing zurück.
    Solch ein Schlag hätte einen gewöhnlichen Mann sofort getötet, hätte jedes normale Herz angehalten. Sie hatte ihn verschont, doch der abgelenkte Schlag hatte seinen Tribut gefordert. Selbst ein abgehärterter Krieger wie Ah-Keung kam nicht ohne bleibende innere Schäden davon.
    Sing Devereaux spürte, wie der Geist des Roten Lotus sie gemeinsam mit allen Gedanken an Gewalt und einer bedrohten Vergangenheit auf den Schwingen des Kranichs verließ. Als sie sich von Ah-Keung, dem Energischen, abwandte, sah sie nur den Kräutersammler, der auf der Suche nach sich selbst im See geschwommen und in den Bergen umhergestreift war. Sie würde nie herausfinden, ob der Entschluss, ihn zu verschonen, dem Wunsch ihres Meisters entsprang, ihr ein tödliches Karma zu ersparen, oder ihrem Mitgefühl für jemanden, der sich - mit nichts als seiner Stärke und seinem Mut als Unterstützung - einer lieblosen Welt gegenübergesehen hatte. Sie vergoss stumme Tränen des Mitleids für den verlassenen Jungen, dessen Schreie an die Götter ungehört verhallt waren.

    Siu-Sing trat an die äußerste Felskante. Sie blickte über die sauberen Farben des Meeres auf die glitzernde Gischt, die an die Felsen unter ihr brandete, und spürte, wie sich die Verbindung zwischen ihr und dem Felsen großer Stärke wie ein zerrissener Faden von ihr trennte. Die Stimme des Alten To flüsterte ihr nichts mehr zu. Obgleich Ah-Keungs Verletzungen mit der Zeit heilen würden, würden die Stärken und Leidenschaften des Kriegers nie mehr zu ihm zurückkehren … und er würde sie oder die, die sie liebte, nie mehr bedrohen.
    Lu, die Nonne, erschien mit einer Bambuskelle starken Kräutertees neben ihr. Ihr Gesicht war ausdruckslos, und sie sagte nichts, doch ihre freundliche Gegenwart wirkte wie eine besänftigende Hand. Die Wolkenfäden hatten sich aufgelöst, und die Sonne hatte sich ganz aus dem Meer gehoben. Das heisere Geschrei der Möwen war unverändert. Kein Wort wurde gesprochen, als Sing aufstand und den steilen Weg hinunter zum Tempel des Wertvollen Lotus einschlug. Nirgends war eine Spur von Ah-Keungs Körper oder Blut zu sehen. Es war, als wäre er nie da gewesen. Mönche arbeiteten stumm Seite an Seite in den Gärten … als hätte nichts im Schatten der Perlenpagode stattgefunden.

    Abt Xoom-Sai hatte die achte Schriftrolle zusammen mit dem Jadeamulett und acht von Sings Haaren, die in seine glänzende Kette geflochten worden waren, angenommen. Roter Lotus gab es nicht mehr. Es hatte hundert Tage gedauert. »Du warst weise, jemandem das Leben zu lassen, zu dem Vernunft so gar keinen Zugang hat.
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