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Die Tochter der Konkubine

Die Tochter der Konkubine

Titel: Die Tochter der Konkubine
Autoren: Pai Kit Fai
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wie eine kochende Quelle in ihr aufstieg, war Sing für Hass nicht mehr erreichbar. Angesichts des Schadens, den sie mit solcher Unmittelbarkeit und Mühelosigkeit angerichtet hatte, beschleunigte sich ihr Herzschlag kaum. Sie wich vor Ah-Keung zurück. »Es ist noch nicht zu spät. Du hast zugeschlagen und ich auch. Außer den Möwen wird niemand wissen, dass wir danach auseinandergegangen sind.«
    Als hätte er sie nicht gehört, warf er die leere Kürbisflasche fort, die laut rasselnd zwischen den Felssteinen aufkam, und schüttelte sein durchnässtes Haar wie ein Wolf, der ein Kaninchen schüttelt. »Früher habe ich mit dem Gedanken gespielt, dir ein plötzliches und stilles Ende zu bereiten - dich würdevoll wie eine Kriegerin sterben zu lassen.« Seine Worte wurden undeutlicher, als er die Stellung eines geduckten Tigers einnahm und den Kopf schüttelte, um besser sehen zu können. »Aber jetzt möchte ich dich schreien hören. Ich möchte, dass die Mönche von Po-Lin zu singen aufhören, den Himmel nach dem Habicht und dem Sperling absuchen und deinen Schreien lauschen, ehe ich mit dir fertig bin.«

    Sie atmete seine Worte ein, wie sie es mit einer plötzlichen Meeresbrise getan hätte. Ein so nackter Zorn konnte seinen Untergang bedeuten - jegliches Geschick und jegliche Disziplin, jegliche List und Strategie, lebenslange Ausbildung wurden nutzlos durch die Lust zu töten.
    Roter Lotus wartete ruhig auf den wilden Angriff, der zwangsläufig kommen musste. Sie straffte den Rücken und erhob die Arme wie Stahl, während die aufgehende Sonne den östlichen Horizont berührte, das Meer mit ihrem reinen Licht überflutete und wie eine riesige Feuerklinge über den Felsengipfel hinwegstrich. Roter Lotus fühlte sie heiß auf dem Rücken, wie sie sich über Zeit und Entfernung hinwegsetzte, um sie mit ihrer strahlenden Aura zu beschützen, wie sie es auf dem Felsen großer Stärke getan hatte. Sie trank die Luft, um ihr Chi wieder aufzufüllen, und nahm die Mächte des Universums in Anspruch, um durch die Himmelstür auf ihrem Schädel in ihren Körper einzutreten.
    Sie stand mit bloßen Füßen auf dem Felsen, krallte sich mit den Zehen hinein und beschwor die zeitlose Macht, ihre Wurzeln zu nähren - um sie zu verankern, zuverlässig, unbeweglich … oder sie so schwerelos zu machen wie eine kleine Feder, die der leiseste Windhauch hochzuwehen vermochte. Der Schatten des Kranichs wuchs, wurde lang und breit, bis er das Schlachtfeld beherrschte, den Angriff des Tigers mit offenen Armen willkommen hieß. Sie spürte, wie der große Vogel in sie eintrat, sie auf seinen Schwingen emporhob, sicherer, leichter und höher als je zuvor, und der wilden Attacke des Tigers mit der geübten Bewegung auswich, die sie schon so lange in sich trug, dass sie zu einem zweiten Sinn geworden war … eine Kraft, die viel größer war als ihr Frauenkörper, der befreit werden musste.
    Das grelle Sonnenlicht schien unbarmherzig in das verzerrte Gesicht des Hütejungen, als sie den schrillen Schrei des Kranichs durch die alten Pagoden widerhallen hörte. Sie hob die Arme höher und ließ sie dann mit der Geschwindigkeit und dem Gewicht eines Hammers, der auf den Amboss schlägt, hinunterschnellen. Mit der
Rechten blockte sie den Schlag des Tigers auf ihre Kehle ab, fing seine Wucht mit dem Unterarm ab. Kraft ihres Willens schickte sie ihr Chi in das Mark des schlanken Knochens, verwandelte es für diesen Bruchteil einer Sekunde in Stahl, während sie ihm mit hakenförmig gebogenen Fingern in die geblendeten Augen stach und ihm mit den Fingerknöcheln mit einem fleischigen Schnalzlaut den Nasenrücken brach. Sie hörte Meister Tos Worte tief aus ihrem Inneren, aber so real wie die brennenden Sonnenstrahlen: Die Macht des Tigers liegt in seinen goldenen Augen.
    Ah-Keung fluchte lautlos, zu spät blockte er mit der linken Hand ihren Schlag ab und konnte dessen Wucht nicht mehr ablenken. Sie erahnte seinen lähmenden Snap-Kick an ihr oberes Schienbein, noch ehe er sie erreichte, und konnte ihm mühelos ausweichen. In weitem Bogen holte sie mit der linken Hand aus, ihr Arm so biegsam wie der Hals des Kranichs, die Finger dagegen verkantet und starr wie sein tödlicher Schnabel, fuhr damit unter Ah-Keungs angreifenden Arm und dann mit der Wucht einer Schwertspitze hoch zu einem Punkt etwas unterhalb der Achselhöhle, ließ sich dabei von ihrem Instinkt leiten, was die Verlagerung der Druckpunkte anging. Jede Unze ihrer Willenskraft und jede
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