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Die Tochter des Tuchhandlers

Titel: Die Tochter des Tuchhandlers
Autoren: Wilken Constanze
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Vorbemerkung
    Das frühe sechzehnte Jahrhundert war für Italien eine Zeit der Kriege, bestimmt vor allem durch die Fremdherrschaft der mächtigen Staaten Frankreich und Spanien. 1512 zwangen die Schweizer die Franzosen zurück über die Alpen, doch bereits 1515 triumphierte Franz I. erneut auf italienischem Boden. Erst dem Habsburger Karl V. gelang es 1525 in der Schlacht bei Pavia, die Franzosen für zwei Jahrhunderte aus Italien zu vertreiben. Aber auch Karl hatte Probleme, seine Herrschaft über die spanischen Erblande, die Niederlande und das Habsburger Territorium zu behaupten. Der ausbrechende Religionskonflikt, der in Luthers Thesen und schließlich in der Aufspaltung der Kirche gipfelte, und das zu den Bauernkriegen führende Aufbegehren gegen die Feudalherrschaft zerrütteten die deutschen Lande, und die andauernde Bedrohung Europas durch das Osmanische Reich verschlang Unsummen an Kriegskosten.
    Vor diesem Hintergrund kommt es zum Konflikt zwischen Karl V. und Papst Clemens VII., denn Karl V. will das römische Weltreich unter weltlicher Vorherrschaft wiederauferstehen lassen. Clemens VII., eigentlich Giulio de’ Medici, ist der illegitime Sohn Giuliano de’ Medicis und der zweite Medici, der den päpstlichen Thron bestieg. Entscheidend dafür war die Protektion Karls V. Die Erwartungen an Clemens sind hoch, man spricht bereits von einem neuen mediceischen Goldenen Zeitalter, in dem die Künste und Wissenschaften, von seinem unbeliebten Vorgänger Hadrian VI. vernachlässigt, wieder gefördert werden. Doch Clemens wird als unseligste Papstgestalt in die Geschichte eingehen. Sein Streben nach Macht und seine undurchsichtige Bündnispolitik stürzen nicht nur Rom ins Verderben, sondern auch die kleine toskanische Stadt Lucca.
    Italien ist seit langem in zwei Lager gespalten: Guelfen (Papstanhänger) und Ghibellinen (Kaisertreue). Lucca steht unter kaiserlicher Protektion, doch es gibt auch dort Unzufriedene, die bereit sind, mit dem Papst zu paktieren und ihre Stadt der eigenen Gier nach Macht und Geld zu opfern.
    Durch eine perfide Intrige von Clemens wird die unabhängige Republik Lucca, die ihren Reichtum dem Seidenhandel verdankt, in einen Strudel verheerender Ereignisse gezogen …

I
    Dom San Martino, 11. Januar 1525
    Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten,
aber der Gottlosen Weg vergeht.
(Psalter I, 1,6)
    Â 
    Ein sternenklarer Nachthimmel lag über Lucca und den toskanischen Hügeln. Der Nachtwächter blies zur zwölften Stunde, danach störte nur noch das Jaulen eines streunenden Hundes die friedliche Stille.
    In der Sakristei des Domes San Martino wurde eine Kerze entzündet, und jemand rüttelte das Kohlebecken, um die Hitze der Glut neu zu entfachen. Hüstelnd zog der Mann einen Schlüssel aus seinem pelzverbrämten Umhang und schloss umständlich einen Wandschrank auf. Er klappte die Türen zurück und entnahm dem dunklen Schrankinnern nach einigem Suchen eine Karaffe und zwei silberne Kelche. Während er Rotwein eingoss, blinkte im flackernden Kerzenlicht ein prächtiger Ring an seiner rechten Hand auf. Agnello Agozzini ließ sich auf einen gepolsterten Stuhl sinken, seufzte zufrieden und hob einen der Kelche an seine vollen Lippen.
    Genüsslich kostete er das reiche Bouquet des sizilianischen Rotweins, der auf den Gütern seines Gastgebers, Francesco Sforza de Riario, Bischof von Lucca, angebaut wurde. Lucca war nicht Rom, aber für einen zielstrebigen Mann wie den Bischof eine wichtige Station auf dem Weg zum Kardinalshut. Agozzini bleckte die Zähne und wischte sich die Schweißperlen von der Oberlippe. Rom! Wie sehr er das ausschweifende Leben in der Ewigen Stadt liebte. Nun, er würde nicht lange hierbleiben müssen. Wie es den Anschein hatte, würde sich sein Auftrag einfacher ausführen lassen, als er zu hoffen gewagt hatte, und wenn Flamini, der Geheimsekretär von Clemens VII., zufrieden war, würde Seine Heiligkeit sich dessen erinnern, was man ihm versprochen hatte, falls der Plan erfolgreich ausgeführt wurde. Dieser skrupellose und heimtückische Verrat war typisch für die päpstliche Politik. Allerdings hatte der Plan seine Schwachstellen, aber das musste man bei einem Unternehmen dieser Größenordnung in Kauf nehmen. Mit kleinen, unbedeutenden Intrigen gab er sich nicht ab. Ihn reizte die Herausforderung, denn er war ein Mann mit Visionen. Agozzini
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