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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg
Autoren: Kirsten Fuchs
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Verstehen Sie doch bitte. Auch mit Bitte nicht. Bin ich das Sozialamt? Ich lehne ab und lehne mich zurück. Nächster bitte.
    Dann kam das Mädchen und sagte: «Das können Sie sich doch vorstellen.» Ich konnte mir ganz andere Sachen mit ihr vorstellen. Sie wirkte sehr jung. Danach habe ich in den Akten gesehen, dass sie älter ist, als sie wirkt. Ich sagte ihr, dass ich kaum was tun könnte, aber sie saß wie angeleimt. Sie schaute zu meiner Kollegin, Frau Kobow, die störte sie irgendwie. Das Mädchen schaute verschwörerisch oder verführerisch oder verrückt. Frau Kobow verließ den Raum, mir wäre auch kein Grund eingefallen, sie wegzuschicken. Sie ging ein Irgendwas holen. Ich hab ihr nicht zugehört. Das Mädchen atmete auf, als wären wir endlich allein. Wir waren allein, aber doch nicht endlich.

    Er sieht aus wie ein Vogel, der aus dem Nest gefallen ist, verloren. Er ist als Ei aus dem Nest gefallen und ein Hund hat auf ihn ein Häufchen gemacht. Diese Wärme hat ihn ausgebrütet. Jetzt fällt er jeden Tag wieder aus dem Nest.

    Sie sieht aus wie tausend andere Mädchen. Haare irgendwas. Offen. Augen irgendwas. Offen. Ihre Hände legte sie auf die Tischkante, als sollte ich ihr die Fingerkuppen abhacken.

    Ich wusste, dass er mich versteht, ohne dass ich etwas sage, also sagte ich nichts, nichts.

    Sie sagte nichts. Ich gab ihr einen Besuchstermin in zwei Tagen. Ich schrieb etwas auf einen Notizzettel. Das sah nicht offiziell aus, und das ist es ja auch nicht.

    Übermorgen kommt er zu mir. Ich werde mit ihm schlafen, weil er es so will. Ich habe nichts dagegen. Ich mache das nicht aus Mitleid. Ich arbeite ja nicht beim Sozialamt.

zwei
    Morgens sitze ich mein Aufwachen aus, bis das Meerschweinchen fiept. «Still!», sage ich zu dem Meerschweinchen, aber es fiept. «Sitz!», sage ich zu dem Meerschweinchen, aber es fiept. «Sag mir mal deinen Namen, Vieh!», fordere ich das Meerschweinchen auf, aber da ist es plötzlich ruhig. Das Meerschweinchen hat einen Namen. Ich weiß den Namen gerade nicht. Es ist das Haustier meiner Tochter und wurde gestern im Hotel Papa eingecheckt. Angeblich sind alle anderen zu krank, um das Tierchen zu versorgen, ohne es anzustecken. Dass ich eigentlich immer krank bin, interessiert nicht. Meine Tochter hat übrigens auch einen Namen, aber ich war für einen anderen. Ich mag den Namen Linda nicht. Ich war für Anton, denn ich wollte noch einen Sohn. Jungs sind gut. Jungs sind keine Mädchen. Mädchen sind aber auch gut. Mädchen sind keine Jungs. Ich nenne das Meerschweinchen Anton. So heißt ein Freund von mir. Ich füttere Anton, da fiept er wieder, dann füttere ich mich, dann rauche ich. Mir ist nicht gleich nach dem Aufstehen nach Rauchen. Daran erkennt man wohl einen Raucher. Er will gleich nach dem Aufstehen sofort rauchen. Ich weiß nicht mehr, wer mir das gesagt hat. Ist es besorgniserregender, dass man nicht weiß, wer einem was erzählt hat oder dass man immer genau weiß, wem man selbst was erzählt hat, weil man so wenig erzählt? Ich rauche seit dreizehn Jahren. Natürlich bin ich ein Raucher. Ich will morgens nur vorher einen Toast mit Käse. Dann erst rauche ich und dann übergebe ich mich der Welt. Der Weg zum Auto ist kurz, reicht aber, damit mir der Pappschnee eine dicke Sohle unter die Schuhe pappt. Die ganze Stadt ist voller Yetis. Es gibt sie doch. Sie haben Mützen auf und laufen, als hätte der Pappschnee ihnen eine hohe Sohle unter die Schuhe gepappt, und so ist es ja auch, so schauts. Im Amt tauen mir die vier Zentimeter Erhöhung weg, und ich bin wieder europäischer Durchschnitt. Nur mein Schwanz ist größer als europäischer Durchschnitt. Was ich mir darauf einbilde, ist so groß wie eine Zwirnrolle – europäischer Durchschnitt natürlich. Ich arbeite, bis ich stumpf bin, dann stehen die Hausbesuche an: eine Frau, die einen Kinderwagen beantragt hat, ein Türke, der alles Mögliche braucht, und ein Mädchen, das mit mir schlafen will.
    Ich soll den Azubi auf meinen Trip mitnehmen, damit er was Ekliges lernt und heute in sein Berichtsheft schreiben kann: Zwischen Theorie und Praxis gebricht es mir, würg. Der Azubi ist ganz patent, denn er ist zu schüchtern, um einen Plausch anzufangen. Ich bin auch gar nicht für ihn zuständig, und für was ich nicht zuständig bin, damit plausch ich auch nicht. Mit meinen Frauen habe ich immer geredet, und mit den Kindern rede ich auch, wie gehts, wie stehts? So was eben. Jedenfalls soll ich den Bub heute
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