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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg
Autoren: Kirsten Fuchs
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Spinnen in Zimmerecken, oben und unten, immer. Unten komme ich schon immer ran, aber oben komme ich erst jetzt ran. Ich mache die weg. Ich mache die tot. Vor allem, falls ich Besuch bekomme. Viele Menschen haben Angst vor Spinnen, nicht nur Frauen. Auch Männer haben Angst vor Spinnen und vor Frauen, darum bin ich ein Mädchen. Ich habe alles in klein, aber nicht zu klein. Ich habe wenige Narben, Kindheitsnarben, die mit Bäumen zu tun haben, mit Bäumen und Fahrrädern und Leitern.

    Nachdem das Aquarium sauber ist, winke ich den Fischen eine gute Nacht, schön die Glubschaugen offen halten. Dann ziehe ich mich in mein Schlafzimmer zurück, in dem ich unbeobachtet bin. Da sind Vorhänge und keine Fische und auch keine Frau. Ich wichse meistens vor dem Einschlafen. Ich versuche dabei, an nichts zu denken. «Wichsen» und «nichts», die Wörter haben vier Buchstaben Übereinstimmung. Mehr als «Wichsen» und «Frieden». Aber die Wörter «Frieden» und «Frauen» haben seltsamerweise auch vier gleiche Buchstaben. Ich denke an nichts. Wenn ich an Frauen denke, die mir tagsüber begegnet sind, so mittelgescheitelte Frauen mit Augen wie Schraubenzieher, die mich reparieren wollen – hier was festziehen, dort was lockern –, dann will mein Schwanz nicht so, wie ich wohl will. Die Frauen sagen: «Warum bist du so und nicht anders oder ganz anders oder ganz ganz anders?» Und wenn ich an dumme Frauen denke, sagen die noch dümmere Sachen. Esoterische Scheiße, und was Schlimmeres gibts ja wohl kaum. Dann wird mein Schwanz so schlaff wie der Rest an mir. Die schlaffen Arme, das müde Gesicht, welches ich mein Eigen nenne und durch die Stadt trage, sodass jeder sieht: «Das ist doch wohl ganz deutlich ein müdes Gesicht.» Ich habe keine Muskeln. Ich bin ein dürres Gerüst mit Haut drüber gezogen, weil sonst die Nerven blank liegen. Vor allem im Gesicht ist nix los. Mimik ist doch Quatsch. Auf Brücken zwischen Menschen kann ich verzichten. Wenn man wieder auseinander geht, stürzt das Bauwerk zusammen, die Steine fallen auf den Bürgersteig zwischen die Bürger und mir hängt das Brückengeländer noch am Mundwinkel wie ein Speichelfaden. Ich denke beim Wichsen an nichts. Ich will auch nicht, dass irgendwer beim Wichsen an mich denkt. So weit kommts noch. Ich komme nicht, wenn ich an jemanden denke. Mir sind zwei Ehen gescheitert und zwei Kinder passiert. Ich wichse ins Nichts.

    Ich war heute im Sozialamt, nachdem ich im Baumarkt war, und im Sozialamt habe ich meine Kontolage dargestellt, die sich geändert hatte, weil ich im Baumarkt war. Ich habe meine Kontolage nicht schauspielerisch dargestellt, wie denn auch? Ich müsste mich nackt ausziehen und meine Backen nach außen krempeln. Ich müsste mich zeigen wie ich bin, nackt, und was ich habe, nichts, mich. Ich habe nichts in den Backen gehamstert, keine Vorräte, und wenn ich keine Unterstützung bekomme, verhunger ich im Winter. Ich bin doch dünn wie ein Faden, der von einer Maus abgebissen wird, dünn wie die Maus, die Hunger hat, aber nur einen Faden findet. Ein Faden macht nicht satt, nein. Herr Sachbearbeiter, ich verstecke nichts, denn ich besitze nichts, mich. Würde ich etwas besitzen, ich würde es Ihnen schenken, denn ich brauche nichts. Sie sehen traurig aus, ich doch aber nicht. Dies ist keine Leidensgeschichte, denn leiden geht anders. Leiden geht so, dass man, kann sein, niemanden lieb haben kann. Ich kann das aber. Ich gehe morgens zum Spiegel und lache mir eine Einschulungstüte mit einer Puppe drin, der man die Haare schneiden kann, auch wenn sie nicht nachwachsen, nie wieder. Ich kann das. Ich mache das, Haare schneiden, Lachen. Das habe ich gelernt von lieben Eltern, ich habe es in Großpackungen geschenkt bekommen, Weihnachten. Ich habe deshalb ein Händchen für Menschen, den rosafarbenen Daumen. Mir gehen Menschen nicht ein. Immer schön düngen. Ich kann das, und mit dem Internet kann ich auch umgehen.

    Nachdem ich fertig gewichst habe, setze ich mich kurz zum Rauchen im Bett auf. Die Hand brauche ich danach nicht zu waschen. Ich wichse mit einem Taschentuch. Ich wichse sogar jedes Mal mit einem anderen Taschentuch, Zellstoff, Wunder des Fortschrittes. Ich sitze im Bett und rauche mich müde. Ich rauche so schnell, dass ich gar keinen Sauerstoff mehr bekomme. Ein kleines Zimmer in meinem Gehirn stirbt ab und wird eine Raucherecke. Manchmal werde ich geradezu taumelig davon, viel besoffener als besoffen. In ein paar Jahren ist mein ganzer
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