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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg
Autoren: Kirsten Fuchs
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habe.
    «In einer Viertelstunde», sage ich.
    «Gut, dann warten wir noch», beschließt sie und kocht Kaffee. Sie kocht guten Kaffee. Dann ist die Viertelstunde rum, und ich weiß, dass sie eine glückliche Kindheit hatte. Ich sage, ich hätte keine gehabt. Das tut ihr Leid. Sie will Erinnerungen von mir. Ich weiß, wie ich mit fünf Jahren auf dem Dachboden stand. Das nimmt sie so hin. Dachboden klingt gut. Haus, Dachboden, Lederhose, Wäsche aufhängen. Wir nicken einander zu, und sie zündet eine Kerze an. «Jetzt!», sagt mein Schwanz, «jetzt also!», und quetscht sich in der Unterhose nach oben, bildet ’nen Henkel wie an einer Tasse. Jeder zieht sich selber aus. Wir sehen uns dabei an, als wüssten wir schon, was dabei rauskommt, wenn die Hosen wegfallen. Theoretisch unterschiedliche Schritte. Es ist nicht wie mit Heike. Aber anders ginge es nicht. Sich gegenseitig ausziehen ist verliebter oder lüsterner. Wir treiben hier weder noch und treffen uns auf ihrer Matratze. Sie beißt in meine Arme, während ich still halte.
    «Willst du überhaupt mit mir schlafen?», fragt sie.
    «Das sieht man doch!» Ich schaue auf meinen Schwanz.
    «Schön!», sagt sie, der Schwanz oder dass ich mit ihr schlafen will. Ich mag ihre Brüste. Sie sind vorne spitz wie Eistüten. Da kann man sich die Augen ausstechen oder Essensreste aus den Zähnen pulen. Ich streiche vage drüber, wie ein Oberflächenprüfer – Eins A weich. Ich hole das Kondom, das ich seit einem Jahr im Portemonnaie habe, die nackten Sohlen in ihrem kalten Flur kommen klatschend auf, und der Winter zeigt sich von der Seite, die einem zum Nölen bringt. Der Boden ist kalt. Überall ist es kalt. Ihre Oberschenkel sind warm. Sie scheint ein bisschen enttäuscht zu sein, dass ich ein Kondom benutze. Dann zieht sie mich zu sich. Ich dringe ein, herein, herein, sie ist nass, sehr nass. Ich lege meinen Kopf neben ihren, meine Stirn auf ihr Laken. Ich atme feuchte Stellen an ihren Hals. Ihr Oberkörper stemmt sich gegen mich, als solle ich mich aufrichten und sie ansehen. Ich sehe sie an.
    «Was ist?», fragt sie. Ihre Hände kneten meine Schultern wie Brot. «Gefällts dir nicht?» Weil ich nicht stöhne, sagt sie. Brot. Also stöhne ich. Ich stöhne zufällig die Kerze aus. Warmes Weißbrot. Dann komme ich ein bisschen, aber viel zu überraschend, nicht so überraschend, wie es wäre, beim Zahnarzt zu kommen, der gerade die Plombe auswechselt, aber doch recht schnell. Dieses «Gleich, gleich, gleich» fällt weg. Auf einmal ist es vorbei. Ihre Haare hängen über den Matratzenrand. Wir haben uns an den Abgrund gevögelt. Das klingt viel schöner als es ist. So ein Matratzenabgrund ist nicht hoch. Da fällt man nicht tief. Ihre Haare sind braun. Sie hat geschrien wie wild und liegt jetzt da. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir uns besser kennen als vorher. Ich frage sie, ob ich ihr wehgetan habe.
    Sie schaut mich an, als wäre das abwegig. «Quatsch!», sagt sie und will wissen, ob ich gekommen bin. Normalerweise fragt man das Männer nicht. Ich sage nein. Enttäuscht ruckelt sie sich unter mir hervor und bläst mir einen. Ich kann mich nicht entspannen. «Hauptsache, du bist gekommen», sage ich zu ihr. Sie schüttelt den Kopf und meint, dass das aber okay so wäre.
    Ich küsse ihre Schulter. Dafür hat sie aber ganz schön Krach geschlagen. Ich schicke sie auf die Leiter, die einfach in ihrer Stube steht, wie eine Leiter eben in einer Stube steht. Ich habe schon ganz andere Sachen gesehen. Sie sitzt auf der fünften Stufe. Die Leiter kann man abwaschen. Ich lecke sie, bis ich ganz stolz bin, dass ich sie so lange lecke. Sie leitet mich nicht an, sie sagt irgendwann: «Ist okay!» Wir liegen danach noch ein wenig herum, zusammengeknüllt wie Essensreste und Verpackung. Ich knete ihren Arm und sie ziept in meinen Brusthaaren. Ob ich sie richtig küssen soll, frage ich. Wenn sie wieder: «Ist okay!» sagt, muss ich unwillig brummen.
    Sie sagt: «Können wir auch nächstes Mal machen.»
    «Ist okay!», sage ich.

    Morgens habe ich gute Laune, und danach wird sie noch besser, sie steigert sich hochkant. Es schneit wie ausgedacht, leise und weich und ganz langsam. Ich borge mir ein Kind von einer Nachbarin und tobe im Hof herum. Das Kind will nach oben, aber ich behaupte, kann sein, es wird nie wieder so schön wie heute. Das Kind sieht das nicht ein. Es hat kalte Hände. Ich biete Kakao an, wenn es mir hilft, einen Schneemann zu bauen. Wir stehen vor dem Schneemann,
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