Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg
Autoren: Kirsten Fuchs
Vom Netzwerk:
Dreck in der Wohnung hinterlassen, Dreck aus getautem Schnee in meinem Flur. Ich lasse den Dreck liegen, weil ich es schön finde, dass er was gemacht hat. Kann sein, ich bin doch romantisch. Da muss ich erst mal zum Spiegel gehen, um zu kucken, wie ein romantisches Mädchen aussieht. Gar nicht schlimm, rot im Gesicht. Er hat sogar das Kondom mitgenommen, als könnte ich damit was basteln, was ihm nicht passt. Er will noch kein Kind mit mir. Das ist nicht so schlimm. Ich hab schon eins.
    Ich liege auf dem Bett und denke an sein Gesicht über mir. Ich stelle es mir unter mir vor, aber seine Züge sind schwer scharf zu stellen. Er ist kein Mann, den man nicht vergessen könnte. Er sollte für den Geheimdienst arbeiten. Keiner würde ihn wieder erkennen. Keiner könnte später sagen, wie mein Peter aussieht, meiner. Ich kann das auch nicht, groß und schlank, fein und eckig. Sein Gesicht fasst sich weich an und vergisst sich gut. Nächstes Mal muss ich ihn neben die Augen küssen, beide. Ich muss ihn fragen, seit wann er allein ist, warum er mich liebt, ob er manchmal gemeine Sachen denkt und wofür er kämpft, was er glaubt, wie ich mit kurzen Haaren aussehe. Ich befriedige mich, nur mit den Händen, weil er außer Dreck und zwei leeren Bierflaschen nichts dagelassen hat und ich mit seinen Resten nichts machen kann. Dreck hat im Schritt nichts zu suchen und Flaschen soll man nicht einführen, weil ein Unterdruck entstehen kann und die Flasche sich ansaugt, ja.
    Ich befriedige mich mit den Händen. Ein bisschen Geruch hat er dagelassen, den atme ich weg, als ich komme. Ich werde jetzt immer an ihn denken, wenn ich es mir mache. In meinem Geburtsort gab es ein Eiscafé, das hieß «Petermännchen».

drei
    Es ist so dunkel morgens, dass ich den Lichtschalter nicht finden kann. In dem Satz steckt viel mehr drin, als mein Räucherkäsehirn begreift. Dabei ist es sonst ein Superhirn, nichts zu klagen. Mein Herz ist nur ein Herz, es denkt «Bumm Bumm» wie ein Tekknokloppi. Es pumpt, und die Herzklappen gehen auf und zu, zuverlässig, und ich bin auch dankbar, aber was leistet es sonst schon? Es schlägt für mich, toll, toll aber auch. Herzen schlagen nie für andere, erst nach der Organspende. Sie schlagen sich wacker, verlieren aber jedes Duell, mit fast allem, was existiert. Ein Traktor ist größer als ein Herz. Ein Chicorée schmeckt besser als ein Herz, und in einen Leinensack passt mehr rein. Ein Herz findet nicht mal einen Lichtschalter im Dunkeln.
    Ich lasse das Licht aus und gehe in die Küche. Es ist halb acht, und ich habe keinen Grund, wach zu sein, denn es ist Sonnabend. Heute ist dem Sozialamt alles Elend egal. Heute gibts kein Geld für Kohle und keine Kohle für Sanitärbedarf. Am Wochenende sollen die Armen sich selber beschäftigen. Sie können zu Fuß ihre Freunde besuchen gehen und darüber reden, dass sie eine Ich-AG gründen wollen. Sie können Schach spielen mit Figuren aus Brotteig, die sie aufessen, wenn der Hunger sie quält. Ich kann nicht mehr schlafen, weil mein Knie wehtut. Licht an. Hose an. Scheiß Knie. Es tut vom Rumsitzen weh, nicht vom Krieg, nicht mal vom Fußballspielen. Mein Amtsknie, Herr Doktor. Sie wissen, immer diese Belastung, dem Land so ins Jauchebecken zu starren. Da schwimmen die Loser und haben Streit, wer aus dem größten Haufen Scheiße ein Floß bauen darf.
    Ich will Brötchen kaufen und muss Zigaretten kaufen. An der Klinke meiner Wohnungstür klemmt außen die dicke Wochenendausgabe der Zeitung, mit der Sonderbeilage über jeden erdenklichen kulturellen Pups, der aus satten Künstlermägen entweicht. Der Weihnachtsmarktsonderfluchtplan und alle Texte zum Mitsingen. Klingeling. Die Zeitung ist so dick, dass ich von innen den Drehknauf nicht drehen kann. Es klemmt richtig clever. Das passiert nicht zum ersten Mal. Ich bin eingesperrt, weil die Welt so viele Nachrichten produziert. Ich sitze fest, rüttel lustlos an der Tür und gebe zu schnell auf. In drei Stunden kann ich den Hausmeister anrufen, damit er den Zeitungsriegel von außen entfernt und mich befreit. Zum vierten Mal. Bald muss ich nur noch «Hilfe!» in den Hörer schreien, und er weiß Bescheid. Warum passiert das nicht in der Woche? Vorgesetzter, Abteilungsleiterchen, Arschloch, ich konnte nicht zur Arbeit kommen, weil ich eingesperrt war, echt wahr, und Bock hatte ich auch nicht.
    Mein Hausmeister ist ein Mann, der sich zum Kreis entwickelt. Er trägt riesige Schuhe und geht gebeugt. Wenn er ein Greis ist,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher