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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg
Autoren: Kirsten Fuchs
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Stuhl und sie sitzt auf mir drauf, da bin ich wohl besessen. Zu Stuhl kann man auch Scheiße sagen. Scheiße.
    «Und wie geht’s?», fragt Weinreich. Tja, heute Morgen hockte ich bei mir zu Hause auf meiner Klobrille aus Holz und eine offene Klebefuge klemmte mir ein Stück Oberschenkel ein. Als ich aufspringen wollte, um einen Auaaua-Tanz aufzuführen, schloss sich der Riss durch Verlagerung meines Körpers, und das Holz biss richtig zu. Und das ist nur das, was ich erzählen könnte. Supi.
    «Schlecht, aber danke der Nachfrage!», sage ich und Weinreich grinst.
    «Alter Miesepeter!», sagt er.
    Na, dann froh ans Werk. Während ein Familienvater über Markensachen an Hauptschulen klagt, denke ich, dass ich vor Tanja glücklich war. Juchhu, Butterblümchen und Wichsen. Ich würde zum Wichsen gern den Kopf absetzen.
    «Meinetwegen!», sage ich zu einer Frau, die allergiebedingt nicht mehr als Friseuse arbeiten kann. Ich habe auch Allergien, Männer, Frauen, Mädchen und da ist sie auch schon, meine kleine Schwanzguillotine. Frau Jannsen, die jetzt Frau Berg heißen will. Ich würde gerne klatschen und sie verbeugt sich dann, Meisterleistung!

    Ich werde aufgerufen. Ich heiße 86. Im Zimmer sind ein schöner Mann und ein normaler Mann. Der Mann, der für mich zuständig ist, scheint leicht zu sein, und der andere hat was anderes zu tun, mach doch. Er sieht aus wie mehrfach gebrochen, aber noch am Stück, weil Haut drüber ist. Er ist wie ein Gummimann, alles, was er anfasst, fällt ihm runter. Sein Blick fällt ihm runter, als ich ihn ankucke. Ich sage, was ich sagen will: Vater unbekannt, Umzug, Erstausstattung fürs Kind. Der Mann findet meine Unterlagen nicht. Dann geht er sie holen, weil sie noch bei J sind. Der andere Mann und ich sind alleine im Zimmer und er duzt mich. Er sagt, dass ich doch wüsste, dass mit dem Umzug ein anderes Sozialamt für mich zuständig ist. Er rät mir noch dies und das. Ich sage ihm, dass ich nach Halle ziehe. Er fragt nicht, in welches Halle. Es gibt nämlich zwei. Das weiß Katrin auch.

    Sie lässt sich nichts sagen, Klapse, Klapse, Klapse. Sie benimmt sich, als würden wir uns nicht kennen, und das stimmt auch, volle Punktzahl. Ich habe keine Ahnung von ihr. Ich könnte ihre entblößten Beine identifizieren. Ja, zwischen diesen Beinen habe ich mein Gesicht verloren, so wars, das wars. Sie ist dicker, ich auch. Sie ist schwanger, ich nicht. Sie sagt den Sesamöffnedichspruch zum großen Geldtopf: Vater unbekannt. Und weil wir uns kaum kennen, so wie es aussieht, wenn wir uns kaum ansehen, bin ich ihr wohl unbekannt. Ich glaubs nicht, sie glaubt es, ich nicht, ich glaube mein Schwein pfeift, es ist die Melodie: «Sad but true» von Metallica. Ich will an Metallica denken.

    Ich ziehe weg, wie Wolken, die sich auflösen, wenn es zu warm ist, die schmelzen wie Eisberge, weg. Jetzt bin ich der Eisberg, ich heiße auch so. Jetzt weiß ich auch, was Peter mit Bild gemeint hat. Das Bild hänge ich in meinen Kopf und bald mache ich eine Ausstellung. Ich mache eine Führung. Die Therapeuten gehen durch die Räume und kaufen mir die Bilder ab. Weil das billig ist, darum.

    Weinreich kommt wieder und sagt, dass irgendwas nicht stimmt. Das Geburtsdatum und der Name. Nu sitze ich aber wie vor der Glotze beim Krimi. Wo sind die Chips? Was nu, Tanja? So schlank bist du nicht, dass du durch geschlossene Türen flutschen kannst. Du bist ja nicht nichts.

    Ich sage, dass ich es nachreiche und gehe. Ich gehe, jetzt. Ich werde ein Mädchen treffen, mit einer Katze, Gesine. Die Katze heißt Mulle. Und ich werde ein Mädchen treffen ohne Katze, Ina. Der, der alles für mich tut, heißt Holger. Heißt, heißt, es ist sehr heiß. Ich bin sehr verliebt und immer noch in denselben.

    Ich gehe in die Raucherecke, ein bisschen passiv rauchen. Lukas bietet mir eine Zigarette an, um mich zu ärgern. Ich ärger mich nicht. Wenn das gerade eben nicht irre witzig war? Dann war es nur irre. Ich muss heute das Wasser im Aquarium auswechseln. Das halbe Jahr ist rum. Ihr lieben Fische, ihr Hin- und Herschwimmer ohne Depressionen, ihr Vorbilder für jeden Beamten. Ich werd euch die Scheiben putzen.

    Ich bin weg.

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Informationen zum Buch
    Die Angst des Eisbergs vor dem Untergang

    Eine junge Frau – Sozialhilfeempfängerin – verliebt sich in einen nicht mehr jungen Mann, ihren Sachbearbeiter. Daraus folgt, heftige Funken sprühend, die Kollision zweier Welten und Wahrnehmungen, wie sie
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