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0795 - Vater, Mutter, Satanskind

0795 - Vater, Mutter, Satanskind

Titel: 0795 - Vater, Mutter, Satanskind
Autoren: Jason Dark
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Die Frau hockte vor dem Mann. Ihre Haltung wirkte auf mich unnatürlich, weil sie den Kopf nach links gedreht hatte, um den hinter ihr sitzenden Mann anschauen zu können. Das rechte Bein halb ausgestreckt, das linke angewinkelt, die Arme ausgebreitet und einen sehr traurigen Ausdruck im Gesicht.
    Der Mann hinter ihr kniete mehr, als dass er saß. Da er den Körper der Frau nicht umfasste, konnte ich seiner Haltung auch nichts Beschützendes abgewinnen. Beide wirkten so unnatürlich, als hätten sie ihren Platz auf einer Bühne gefunden, wo sie dann in einer bestimmten Tanzpose erstarrt waren.
    Mich, den Eindringling in ihr Refugium, hatten sie noch nicht bemerkt. Vielleicht wollten sie mich auch nicht sehen, wer konnte das schon wissen?
    Zudem unternahm ich auch nichts, um mich bemerkbar zu machen. Ich sprach sie nicht an, ich hüstelte nicht einmal, und als ich mich auf sie zu bewegte, achtete ich darauf, mölglichst kein Geräusch zu verursachen. Nicht, dass ich sie erschrecken wollte, sie sollten aber auch merken, dass ich ihnen nicht als Feind gegenüberstand.
    So klein die Insel auch war, für mich war das Gelände schwierig zu begehen. Der gesamte Aufbau kam mir vor wie hochkant stehende Eissplitter und glatte Flächen, einen sicheren Tritt konnte ich jedenfalls nicht finden.
    Und so näherte ich mich mehr balancierend dem Paar, wobei ich hin und wieder die Arme ausstreckte, um das Gleichgewicht zu halten. Ich näherte mich ihnen vor der Seite her. Die Frau zumindest hätte mich jetzt sehen müssen.
    Sie kümmerte sich nicht darum. Beide Menschen hatten sich der steinigen Formation der Insel angeglichen, als wollten sie dort Schutz suchen.
    Noch etwas fiel mir auf.
    Die Frau trug ein durchsichtiges Etwas, vergleichbar mit einem Schleier oder einer dünnen Gardine. Und der Mann hatte eine Hose über seine Beine gestreift, deren Stoff sich kaum von der Umgebung abhob. Er trug keine Schuhe.
    Warum hatte ich die beiden in dem Fahrstuhlschacht als Projektion zu Gesicht bekommen. Ich hatte mich zusammen mit dem deutschen Kommissar Harry Stahl in einem alten Hotel aus der Jugendstilzeit an der deutsch-tschechischen Grenze aufgehalten, und wir waren die einzigen Gäste in dem schon seit Jahrzehnten leer stehenden Hotel gewesen. Das heißt, die einzigen normalen oder lebenden Gäste. Was sonst noch um uns herum existiert hatte, verdiente diese Bezeichnung nicht. Das war gespenstisch, grauenvoll und höllisch gewesen.
    Nun aber stand ich in dieser Welt.
    Ich hatte sie durch das helle Tor einer Hotelwand betreten und war dabei nur einem blond gelockten Mädchen gefolgt, das vor mir den Weg gegangen war.
    Nun, das Mädchen war verschwunden, stattdessen hatte ich mich auf dieser Insel wiedergefunden.
    Ich war inzwischen so nahe an das Paar herangekommen, dass sie auch mein Flüstern gehört hatten, und ich kam mir etwas dumm vor, als ich sie mit leisen Worten ansprach, die in das dämmrige Licht hineinglitten: »Bitte, ich möchte Sie nicht erschrecken, aber ich will Ihnen sagen, dass ich nicht als Feind gekommen bin.«
    Sie rührten sich nicht.
    Ich spürte, wie das Blut in meinen Kopf stieg und sich dort ein gewisser Druck ausbreitete. Hatten mich die beiden überhaupt verstanden? Sie mussten Menschen sein, davon ging ich einmal aus, aber es war nicht natürlich, dass sie auch begriffen, was ich sagte.
    Alles war hier anders, selbst das Licht, das bläulich und grün schimmerte und sich vom Himmel aus über das Wasser und die kleine Insel verteilte. Ich hatte mir den Kopf darüber zerbrochen, in welch einer Welt ich möglicherweise gelandet sein konnte, und mir war dabei der Begriff Aibon eingefallen.
    Ja, es konnte durchaus sein, dass mich dieses geheimnisvolle Reich zu sich geholt hatte.
    Es war still geworden. Selbst das Rauschen der Brandung hatte sich zurückgezogen, als wollte es diese neue Idylle nicht stören. Beide mussten mich einfach hören, aber sie reagierten noch immer nicht. Sollte ich noch näher an sie herantreten? Oder waren sie taub?
    Nein, ich blieb stehen, aber ich redete wieder mit ihnen und stellte eine bestimmte Frage: »Wo, bitte, ist das Kind geblieben, das ich verfolgt habe?«
    Ob Zufall oder nicht, das war mir egal. Jedenfalls hatte ich genau die richtigen Worte gesprochen, und es war die Frau, die als Erste reagierte. Durch ihren Körper ging ein Ruck. Ich glaubte auch zu sehen, wie sie tief Luft holte. Ein leises Stöhnen drang aus ihrem Mund. Sie kam mir vor wie eine Person, die aus einem
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