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Die Titanic und Herr Berg

Die Titanic und Herr Berg

Titel: Die Titanic und Herr Berg
Autoren: Kirsten Fuchs
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verbummelt. Wenn wir ihr den Kinderwagen genehmigen, kommt sie und bringt ihn zurück, weil sie das Kind verbummelt hat. Wir lassen uns zur Tür bringen und geben der Frau die Hand. So gibt man die Hand, Lukas, schreibs in dein Berichtsheft.
    Kaum sind wir im Auto, sage ich zu dem Stift: «Und darum müssen wir zu zweit gehen», und erkläre das nicht weiter. Ich drehe mich zu ihm um, wie er dahinten sitzt, wie ein Kaugummi. Ich lächle ihn an und fahre dann los. Er muss nicht nur bezeugen, dass die Frau freiwillig geheult hat, ohne dass ich ihr ein Leid getan habe, vor allem müssen wir uns an den Händchen halten bei diesen Wohnungseinbrüchen.
    Ich habe mein Mitleid verbummelt. Ist mir in den Gully gefallen und unter den Teppich gerutscht. Vielleicht hab ich es einer Frau geborgt und nicht wiederbekommen. Es hat aufgehört zu schneien. Ich denke an das Mädchen. Ich will erst bei ihr sein, wenn es dunkel ist. Sie sieht mir aus wie eine, die sehen will, wie ich aussehe, wenn ich komme. Und gehe. Um vier wird es dunkel. Eine Stunde noch. Erst der Türke.
    Lukas findet, dass Herr Güler ganz schön viele Anträge eingereicht hat. Da klingt mir ja schon der perfekte Sachbearbeiter durch. Was denn? Was denn? Sie wollen für jedes Kind einen Stuhl? Und neue Gardinen? Rauchen Sie doch mehr, dann vergilben die Fenster.
    Eine Stunde geht bei einer türkischen Familie schnell herum: Kaffee und was kosten. Herr Güler hat keinen Kaffee, er hat Tee. Lukas will keinen, vielleicht, weil er dann die Mütze absetzen müsste. Renovierungsbedarf besteht, Waschmaschine ist kaputt, ein Fernseher ist schon da, aber «es ist der vom Nachbar seiner», so sagt man mir wörtlich. Herr Güler erzählt mir was vom Pferd, vom anatolischen Pferd, auf dem seine Neffen sitzen, die Schulgeld brauchen. Da soll sich das türkische Sozialamt drum kümmern, wenn es fertig gebaut ist und nicht durch eine Kombination aus Erdbeben und Schlamperei am Bau einstürzt. Schulgeld. Fernseher. Nein!
    Lukas füllt die Formulare fein aus und sieht mir nicht dabei zu, wie ich mich umsehe. Es gibt ja auch nicht so viel zu sehen, wenn ich mich umsehe, aber was ich für eine Show abziehen könnte, will ich ihm gar nicht zeigen, merk dir das. Ich darf ins Schlafzimmer und das Bett befühlen, das angeblich sehr alt ist. Ich will nicht das Bett befühlen, auf dem die Prinzen Erhan, Ayhan, Erkan und Orkan gezeugt wurden. Außerdem besteht wohl Bedarf an Winterkleidung, und das glaube ich, ohne mit Lukas in den Schrank zu krauchen und alle Schleier der Frau anzuprobieren, ob sie warm genug sind für den Winter. Ich werde auch keine Gutscheine bewilligen, sondern Geld, richtiges echtes Deutschgeld, Ausländermann, da freust du dich. Ich trinke meinen Tee und sage, dass ich die Arbeit mag, weil man mit Menschen zu tun hat.
    «Menschen sind nett!», sagt die türkische Frau. Wenn ich den Satz im Kopf wiederhole, bekomme ich Krissel hinter der Stirn. Menschen sind nett. Und Essen schmeckt gut. Zeit macht alt, und der Arsch ist rund und besteht aus zwei Halbseiten.
    «Gut, Herr Güler!», sage ich, und falsch ist das nicht, irgendwas wird schon gut sein. Der Tee zum Beispiel war wirklich gut.
    Lukas steht von der Stuhlecke auf, die er besetzt hat, als wäre er ein schlankes Mädchen. Er sagt nichts mehr, außer «Wiedersehn», als ich ihn Schlesisches Tor rauslasse. So sind Hausbesuche, schreibs in dein Berichtsheft.
    Mein Kopf will Ruhe. Ein stilles Mädchen auf den Feierabend und ein Bier. Ich kaufe zwei Flaschen. Vielleicht freut sie sich. Sie freut sich über die dritte Flasche, über mich. Ihre Wohnung ist niedlich. Überall bammelt was von der Decke. Aber keine Traumfänger und Windspiele. Ich schlender herum auf Socken.
    «Und?», fragt sie.
    «Niedlich!», sag ich.
    Sie freut sich.
    Ich könnte sie fragen, was sie beantragen will. «Willst du ein Bier?» Sie will kein Bier. Ich trinke beide Flaschen aus, und wir nicken uns an. Ich kann nicht sagen, dass es mir unangenehm ist. Ich wünschte bloß, ich könnte es mit irgendwas vergleichen. Das ist wie mit Heike oder das ist ja ganz anders als mit Heike. Aber es ist irgendwie. Sie ist auch irgendwie, wie sie auf dem Boden sitzt und mit dem Oberkörper wippt. Sie ist eine Dorfschönheit, eines gar nicht so kleinen Dorfes. Alle Jungs würden bei ihrem Vater für die Rolle des Schwiegersohns vorsprechen. Sie ist schön. Auf ihre Art, wie man so sagt.
    Inzwischen ist es fast dunkel. Sie will wissen, wann ich Feierabend
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