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Die Tänzerin auf den Straßen

Die Tänzerin auf den Straßen

Titel: Die Tänzerin auf den Straßen
Autoren: Miriam Gudrun Sieber
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Der Beginn
     
    Als ich beschloss, den Jakobsweg zu gehen, hatte ich das Gefühl von Ausgebranntsein, und dass etwas vor meiner Lebensquelle liegt, vielleicht ein Stein, vom Teufel hingelegt wie im Märchen. Zunächst schob ich alles auf Überarbeitung.
    Beim Vollmondfeuer im August lag ein riesiger Aschehaufen auf der Feuerstelle, und ich bekam das neue Feuer nicht entzündet. So war es also:
    Zu viele große Feuer, die gebrannt! Das neue Feuer konnte noch nicht wieder brennen, die Asche musste weggetragen werden...
    Johannes und ich lebten seit einigen Jahren auf einem Hof inmitten von Wiesen, Wald und Bergen. Zwölf Jahre gemeinsames Leben, acht Jahre davon auf diesem Hof. Er war unser beider Lebenselixier, mit den täglichen Aufgaben, dem Ausbau, der Herausforderung durch die Elemente, besonders durch den Winter.
    Wir waren hierher gezogen, nachdem meine Kinder das Haus verlassen hatten. Ich lernte Johannes vier Jahre nach der Trennung von meinem Mann kennen. Es war ein Jahr, in dem sich für mich einiges fügte, nach all den Jahren der Wendezeit, die wie ein Sturm über den Osten hinweggefegt waren und alles, aber auch alles verändert hatten. Von 1989 bis 1992 versuchte ich mit anderen im „Neuen Forum“, dann bei den Grünen, alte Werte in das neue System zu retten. Vergebliche Mühe! Die Revolution frisst ihre Kinder!
    Ich durchlebte eine schwere Lebenskrise und verstand, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: Verbittert weiterkämpfen oder loslassen und mich auf mich selbst besinnen und alle neuen Möglichkeiten für mich nutzen. Krise heißt im Chinesischen: Zeit zur Wende. Ich ließ los und schlug einen ganz anderen Weg ein, den Weg nach innen. Das ist so leicht erzählt, doch es bedeutete für eine Kämpferin wie mich, die bereits als Kind mit dem DDR-System in Konfrontation stand, eine absolute Weltenwende. Meine eigene Heilung war und ist ein langer Weg, den ich noch heute mit mir und anderen Menschen als Tanztherapeutin, Heilerin und Künstlerin gehe.

    Die Ehe mit meinem Mann zerbrach wie die meisten DDR-Ehen. Einer der Gründe war sicher die plötzliche Konfrontation mit uns selbst. Es gab den Feind im Außen nicht mehr. Der Feind war das System gewesen. Wir waren die anderen, die bespitzelt wurden, weil wir eine offenere Lebenseinstellung hatten und eigene Vorstellungen von unserem Dasein. Wären wir wirkliche Gegner des Sozialismus gewesen, dann hätten wir die Wanzen im Haus, die uns beobachtenden Nachbarn, die Verhöre und Haussuchungen besser innerlich akzeptieren können. Wir waren nur bunte Vögel, Menschen, die Lebensfreude und Andersartigkeit ausstrahlten, viele Freunde hatten, eben so bunt...
    Trotzdem oder gerade deshalb erschienen wir auf der Liste der Staatsgegner. Wie waren wir Abend für Abend froh, wenn unsere Familie unbeschadet am Tisch saß und wir die Haustür schließen konnten. Der Feind war also außen, und wir brauchten unsere Familie als Gemeinschaft und ebenso die Kirchgemeinde als Schutz gegen die Repressalien des Staates. Jedenfalls trennten wir uns bereits ein Jahr nach der Wende... Im Jahre 1994 begann mein neues Leben mit Freiberuflichkeit und dem Kennenlernen von Johannes, der jünger war als ich, was wir nach einer leichten anfänglichen Verunsicherung ignorierten. Schon bald zogen wir zusammen und fühlten uns gut miteinander. Jede konventionelle Vorstellung warfen wir über Bord.
    Wir hatten ein gutes Leben, sind viel gereist, waren immer mit interessanten Menschen zusammen, haben viele kreative Sachen gemacht... im letzten Jahr sogar Wald gepflanzt. Unsere Beziehung war voller Dynamik und sehr ideenreich.
    Dazu kam, dass wir uns alle Freiheit lassen konnten — im Vertrauen zueinander. Ich habe mich immer als einzelner Mensch gefühlt, doch auch mit ihm verbunden.
    Und dennoch schien seit einiger Zeit etwas nicht mehr zu stimmen. Ich hatte ein Gefühl von Stagnation und sah es auch bei ihm.
    Mein Ausgebranntsein zeigte sich in körperlichen Beschwerden wie Nierenschmerzen oder Magenverstimmung. Ich war in einem Zustand, in dem andere eine Kur verschrieben bekommen. Da ich kein Kurmensch bin, wusste ich, ich muss was anderes für mich tun.
     

N ebeltau
erzählt mir
von der großen Reise,
die wir vor uns haben
auf der Welt
und wie wir dann doch hängenbleiben
an einem Grashalm
oder Blatt
und nichts mehr wissen
von den weiten Himmeln
und vom Meer.
 
Bis der Nebel aufreißt,
ein Licht sich bricht
und ein Erinnern
uns erneut auf die Reise schickt
mit dem Aufgang der
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