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Die Tänzerin auf den Straßen

Die Tänzerin auf den Straßen

Titel: Die Tänzerin auf den Straßen
Autoren: Miriam Gudrun Sieber
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Sonne
an einem gewöhnlichen Morgen.
     

 

     
     

Vor Jahren hatte ich vom Jakobsweg gehört und damals gefühlt, dass der Zeitpunkt kommen würde, diesen Weg zu gehen. Der Zeitpunkt war da!
    Ich wusste, dass ich sofort aufbrechen sollte, doch im Augenblick war meine finanzielle Situation nicht die beste. In der Freiberuflichkeit gibt es Wellen, auf denen ich surfen gelernt habe, was das Geld betrifft. Es war mir gleich, ob mit oder ohne Geld... Dann trampe ich eben und sehe zu, wie mich das Leben führt... Und siehe da: Es führte mich schon vor der Reise! Es war ein Wunder. Zwei Frauen, mit denen ich durch meine Arbeit zu tun hatte und die auch gerne den Weg gegangen wären, schenkten mir Geld. Ich fühlte, wie mich Dankbarkeit, Glück und Rührung durchströmten, und wusste, dass der Weg mich ruft. Das war das Zeichen! Innerhalb von einer Woche bereitete ich den Aufbruch vor und drei Tage später startete ich.
    Am Morgen meiner Abreise reinigte ich die Feuerstelle. Zwei Schubkarren Asche habe ich auf die Felder verteilt. Das war für mich ein symbolischer Akt, der mir gut tat. Dann hat mich Johannes zum Zug gebracht.
    Am 7. September 2005 bin ich gestartet, blauäugig, ohne eine Ahnung, was solch ein Weg bedeutet. Zunächst mit dem Zug nach Paris und von dort mit dem Nachtzug nach Bayonne, von wo aus ich über die Pyrenäen laufen wollte. Ein Gepäck von sieben Kilogramm Gewicht im Rucksack, ausgetretene Wanderschuhe an den Füßen und ein offenes Herz in der Brust, bereit, alles zu nehmen, was das Leben mir sagen und zeigen will.
    Gleichzeitig fühlte ich mich überwältigt von meiner Art des Weggehens. Allen sagte ich, dass ich mich treiben lasse und nicht weiß, was das Leben mit mir vorhat. Die Rückreise stand nicht fest, etwas für mich Untypisches. Diese Unverbindlichkeit machte mir Angst. Auch wegen meiner Beziehung zu Johannes. Außerdem stand so viel Arbeit an, aber das war immer so auf diesem Hof und in der Freiberuflichkeit.
    Ich fühlte, dass ich genau diese Unverbindlichkeit der Rückkehr brauchte, warum auch immer. Der Weg würde mir die Antwort geben.
    Was meinen Beruf betraf, den ich Berufung nenne, fühlte ich, dass sich auch da einiges verändern musste.
    Irgendwie mehr Klarheit und Wachheit, das Ernstnehmen meiner Träume.
    Ich wollte lauschen, aussortieren, visionieren, neu festlegen. Gehören Johannes und ich noch zusammen? Haben wir uns in den letzten Jahren alles gegeben, was möglich war? Ist unsere Zeit beendet? Auf erotischem Gebiet war die Zwiesprache eingeschlafen, wir lebten mehr wie Freunde. War das normal nach vielen Jahren gemeinsamen Lebens? In meinen anderen Partnerschaften hatte ich es ähnlich erlebt und viele Paare erzählten ebenfalls davon. Ich fühlte, dass wir eine Gefühlsvertiefung brauchten, um eine neue Umlaufbahn zu finden und dass dies nicht ohne Schmerzen gehen würde... Was bedeutet der Wohnort, das Haus noch für mich, für uns? Hat unser Leben einen gemeinsamen Ausgangspunkt?
    Fragen über Fragen. Ich hatte Angst vor Wahrheiten, die Veränderung verlangen, da ich Sicherheit sehr liebe und gleichzeitig verachte. Ich bin ein Mensch, der nicht ankommt, der nach neuen Wandlungen und Herausforderungen sucht und doch nach Geborgenheit lechzt. Wie schwer sind diese Widersprüche auszuhalten!
    Doch jetzt drängte es mich, den Aufbruch zu wagen.
     

 
J etzt muss ich gehen,
meine Kinderseele zu finden.
Unter der Asche von vielen großen Feuern,
die einst intensiv und hell gebrannt,
liege ich wie ein verschüttetes Niemandsland.
Zu viel geliebt.
Zu viel gelacht.
Zu viel gelebt, getanzt, gesungen.
So viele Jahre
ums Dasein gerungen.
Mein großes Lebensfeuer,
ich kann es nicht länger am Brennen halten...
Jetzt muss in meinen Haaren die Asche erkalten.
Der Regen und alle meine Schritte
sollen sie ins Erdreich waschen,
damit sie Humus werde und stille Kraft,
die meine Kinderseele tanzend
mit der Erde Gezeiten
und meinen alten Tränen neu erschafft.
     

Lieber Leon,
    als ich dich das erste Mal sah, war mir so, als würde ich dich schon lange kennen. Du reichtest mir ein Glas Sekt und sahst mir dabei in die Augen, tief und direkt und ein bisschen frech. „Guten Morgen, du Schöne“, sagtest du. Ich spürte Hitze und Schamesröte wie ein junges Mädchen. Dann tranken wir. Es war Morgen, und vor dem Frühstück hatte ich bereits einen Schwips.
    Um uns herum standen die anderen Partygäste auf, die uns nicht interessierten, doch alle fühlten, dass etwas mit uns
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