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Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner

Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner

Titel: Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
Autoren: M Joseph
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SCHONT DIE AUGEN DER NATION! –
    BADEKULTUR HEUTE UND GESTERN
    Spätestens im Mai wird man als Einheimischer in Mecklenburg-Vorpommern mit der Frage konfrontiert, ob man schon »drin« war. Gemeint ist,
    ob man sich bereits ins Wasser gewagt hat. Anbaden in der Ostsee wird alljährlich von einigen ganz Verwegenen schon zu Neujahr unter den Augen der
    Lokalpresse zelebriert. Diese Lebensmüden nennen sich Eisbären oder Seehunde und sind zu Recht hierzulande in der deutlichen Minderzahl. Der
    durchschnittliche Mecklenburger oder Vorpommer tut sich das nicht an.
    Wenn Sie an einem milden Sonntagvormittag im März einen Strandspaziergang in Warnemünde unternehmen, werden Sie sich mit ziemlicher Sicherheit zwischen
    Leuchtturm und Wilhelmshöhe in einen langen Streifen gut eingemummelter Wanderer einreihen. Die Luft ist klar, der Himmel wolkenlos. Weit draußen können Sie
    Schiffe sehen, und mancher meint sogar, die dänische Küste am Horizont zu erahnen. An diesem lauen Tag um Ostern sollten Sie sich aber nicht wundern, wenn
    Sie zwischen den Flanierenden rüstige, ältere Herrschaften entdecken, die sich pudelnackt in die 5 °C kalte Ostseegleiten lassen, ein paar
    Bahnen schwimmen und sich danach an Land mit gymnastischen Übungen – noch immer nackt – wieder aufwärmen. Besonders beliebt bei Mittsechzigern ist der
    »Hampelmann«, der schon nach wenigen Wiederholungen die Kälte aus den Gliedern treibt. Bleiben Sie bei solchen Begegnungen ruhig! Die rüstigen Turner sind
    nicht von hier und auch keine Eisbader, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit Berliner oder Sachsen. Kein Einheimischer weiß, warum sie das tun, man ahnt
    nur, dass die sonst so große Entfernung zum geliebten Strand sie bei jeder Jahreszeit in die See drängt.

    Treibt es den Einheimischen doch mal in die kalten Fluten, dann vielleicht aus jugendlichem Übermut. So wie bei mir, als ich, gerade
    zwanzigjährig, mit einem Freund am traumhaften Weststrand auf der Halbinsel Fischland, Darß und Zingst zwei junge Frauen beeindrucken wollte. Es war ein
    sonniger Märztag, windstill und knackig kalt. Eine Radtour führte uns ans Wasser, wo wir mit zwei Darßerinnen ins Gespräch kamen. Voller Energie suchten wir
    jede Gelegenheit, sie für uns zu begeistern. Mein Freund und ich stritten uns, wer wohl wann im Jahr »anbaden« würde. Natürlich prahlte jeder, dass
    »anbaden« nicht das richtige Wort sei, da er im Grunde unabhängig von der Jahreszeit, also sommers wie winters, in die Ostsee hüpfe. Eine Übertreibung
    übertraf die nächste. Bis erst mein Kumpel seine Klamotten abstreifte, dann ich, um zur Unterstreichung seiner und meiner Männlichkeit eben diese in die
    eiskalten Wellen zu schwingen.
    Im Februar und März, wenn das Wasser eisfrei ist, stehen viele einheimische Angler an der Küste auf der Pirsch nach der Meerforelle. Als wir uns also
    splitternacktausgezogen hatten, sahen wir, dass vor uns zwei Angelruten aufgestellt waren. Ein alter Fischer, in Ölzeug gehüllt und mit
    Pudelmütze, stand daneben. Unsere Fußspitzen hatten das Wasser noch nicht berührt, da rief er: »Könnt ihr nich woanners baden?« Wir sahen uns um und
    schauten das Ufer entlang, erst in die eine Richtung, dann in die andere. Der Fischer tat dasselbe. Etwa alle 50 Meter hockte ein Angler, soweit das Auge
    reichte. Der Alte sah uns an und grummelte einsichtig: »Na los, dann rin mit Euch!« Der Versuch, voller Selbstverständnis hinein zu gehen und entspannt dem
    Eiswasser wieder zu entsteigen, misslang uns kläglich. Dennoch war es ein berauschendes Gefühl, das Sie sich nach vorheriger Absprache mit Ihrem Arzt auch
    mal erlauben könnten. Wenn Sie den Kopf nicht untertauchen und der Wind nicht von der See her weht, dann kann man das Baden im eiskalten Nass durchaus
    ertragen und danach auch genießen. Der Organismus setzt all’ seine Energiereserven in Körperwärme um. Wenn Sie nur kurz eintauchen, werden Sie nach dem Bad
    nicht frieren. Da Füße und Hände besonders temperaturempfindlich sind, können Sie auch mit Neopren-Schuhen ins Wasser gehen und dabei die Hände
    hochhalten. Das sieht nackt nicht unbedingt immer gut aus, mindert aber schnelles Auskühlen. Unsere Bemühung, die Mädels herumzubekommen, scheiterte
    übrigens auf bedauernswerte Weise, weshalb ich meine Laufbahn als Badender im Kälterausch nicht länger verfolgte.
    Abgesehen von den Ködern geht der durchschnittliche Küstenbewohner auch deshalb nicht im Winter baden, weil man
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