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Die Tänzerin auf den Straßen

Die Tänzerin auf den Straßen

Titel: Die Tänzerin auf den Straßen
Autoren: Miriam Gudrun Sieber
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was mir fehlte. Ich ahnte nur immer seinen Schmerz, seine Verletzungen, aber er äußerte und zeigte sie nicht. Er war meistens ein Held — das machte ihn mir fremd und leer. Nach zwölf Jahren reicht mir das nicht mehr.
    Ich lud noch einmal das Scheitern ein. Ich schrie in den spanischen Himmel, dass ich ein schwaches trauriges Menschlein sein darf, wann immer ich es brauche, und aufgeben darf, wenn mein Körper es will — und auch meine Seele.
    Ich darf weich sein und nachgiebig, darf eine Versagerin sein vor mir selbst und der Welt. Wenn ich das Ziel nicht erreiche — es geht nicht ums Ziel! Aufgeben ist Stärke!!!
    Ha, ha!! Ich sprang wie Rumpelstilzchen ums Feuer, und mir schien, dass dies ein Geheimnis war, ein Wort der Erlösung wie im Märchen. Wer den geheimnisvollen Namen findet, dem bleibt das Kind. Hatte das wieder mit meinem Traum zu tun? Der Engel brachte mir das Kind, damit ich es nähre und versorge.
    Ich entspannte mich, und der Riesenberg von achthundert Kilometern schmolz in der Sonne es gab ihn nicht mehr. Was zählte, war jeder einzelne Schritt mit meinen Gefühlen, den Erfahrungen, den Situationen.
     

B eim im Scheitern erhältst du den Erdenstoß.
Aus der Wunde erblüht ein Wunder.
 
Wunderwunde
verströmt und verströmt sich...
Du kannst dich nicht halten
Zu SEIN
Im Wagnis deines Lebens
Nur DEINES.
 
Des Lebens Urgewalten
drängen aus Grüften und Spalten,
verletzen das Liebste und mich,
schlagen die Schalen und Masken entzwei...
 
Jetzt schreie ich den Schrei
aus dem brennenden Gefieder des Phönix
wie ein frisch geborenes Kind.
     

Es ist wieder tiefe Nacht, und alle Gedanken sind bei dir, Leon. Ich schlafe unter der Milchstraße, irgendwo im Baskenland. Heute konnte ich keine Pilger ertragen, nicht so nah jedenfalls. Letzte Nacht habe ich von einem Hagebuttenstrauch geträumt, der wuchs durch Beton. Bin ich das? Wächst das Lebendige endlich durch meine zubetonierte Seele?
    Die spanische Nacht fällt in mein Herz mit ihren Düften, Sternen, Traumwolken. Aufgeweicht bin ich vom Schweiß und von den Tränen, die aus mir fließen, wenn aus meinem Körper die Erinnerungen aufsteigen wie die Nebel aus den Tälern nach Regengüssen im Sommer.
    Alter Mann, deine Stimme klingt borkig, dunkel und tief und ein wenig vermoost. Jeder alte Baum erinnert mich an dich. Ich streichle sacht über die Rinde und fühle die Wunden, die das Leben als Baum mit sich bringt.
    Als du mir vom Krieg erzähltest und vom Verlust deines Armes, liefen deine Tränen über meine Hand. Dafür habe ich dich geliebt. Tränen sehen die Frauen so selten bei ihren Männern. Leon, waren es unsere Lebenswunden, die uns zueinander trieben? Deine Mutter wurde vor der Friedhofsmauer beerdigt. Als du ein kleiner Junge warst, hast du sie im Stall gefunden. Tot hing sie da. Du bist schreiend davongelaufen. Am selben Tag noch wurde sie ohne Ehren verscharrt und alle acht Kinder wurden verteilt an andere Menschen. Auch du. Die Tränen durften nicht gezeigt werden, denn es war eine Schande, eine Selbstmörderin zur Mutter zu haben...
    Wir beide haben endlich gemeinsam weinen können, unsere Eltern beweinen können. Wir lagen beieinander und ich hielt deine eine Hand. Du hattest es noch keinem erzählt und wolltest auch nicht, dass ich je mit jemand darüber spreche. In jener Nacht sehnte ich mich nach einer Erfüllung durch dich, ich wollte aus dir trinken wie aus einem See, tiefer in dich eintauchen, erkennen, begreifen, mich verstehen in dir und durch dich. Kann ich die Liebe begreifen? Ich will sie ergreifen und leben...
     

 

I ch bin deine Geliebte,
deine Mutter,
die vergessene Unschuld,
dein Engel, ein Nachtfalter,
die verlorene Zeit...
Ich bin die Hohepriesterin
und die Zigeunerin,
die Hure, die es mit dir treibt...
Ich bin der Tod,
die vergeudeten Träume,
die Wanderin, die alle Schritte mit dir teilt...
Ich bin das Erbarmen,
die beiden Flügel,
der Untergang und das Wiederaufgestandensein
Ich bin der Schrei
aus den Schützengräben
blutdurchtränkter Erde,
bin dein Lachen,
jede Wunde, der Kampf,
deine Mutlosigkeit
und der erhabene Moment
im Staub deiner Wege.
 
Liebe mich, liebe mich!
Und mein Herz wird
eine Furt graben
ins Lichtertal deiner Seele,
wenn dein Mund
meinen Leib berührt
wie die Zeitlosigkeit ihre Kinder.
     

Schritt... Schritt... Gehen... Gehen...
    Regelmäßig pausierte ich, um die heißen Füße zu kühlen, die Socken zu trocknen und frische Creme auf die Haut aufzutragen. Es war ein Wunder, ich bekam
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