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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben
Autoren: Boris Pfeiffer
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darauf brannte ein Feuer unter der Weide. Aili stimmte einen leisen Gesang an. Während er ihrer Stimme lauschte und in die Flammen sah, merkte Rufus kaum, wie die Stunden vergingen. Zu seinen Füßen saß Minster und er konnte ihren regelmäßigen Atem an spüren. Aili unterhielt das Feuer, sang und warf immer wieder Kräuter aus einem Beutel in die Flammen.
    »Weidenbaum«, sagte sie schließlich. »Myrddin schickt mich. Er bittet dich, das Geschenk meiner Mutter freizugeben. Denn es hat seinen Zweck erfüllt und du bist frei von allen Wünschen. Den Schutzring, den er vor vielen Jahren für die Königin geschmiedet und gewunden hat im hohen Norden, im Feuer der Himmel …«
    Rufus hörte Aili verwirrt zu. Für einen Moment sah er durch die kahlen Baumkronen einen anderen Himmel als den, der bis eben über ihnen gestanden hatte. Er sah Myrddin an einem Feuer stehen und einen Klumpen Gold in einer Zange halten. Er sah Sterne und Dunkelheit und das Gewand des Druiden. Dann war es wieder dunkel, und Ailis Stimme flüsterte: »Roudo?«
    »Ja!«
    »Nimm das.« Sie drückte ihm etwas in die Hand. »Es ist für dich. Die Weide gibt es frei. Myrddin schickt es dir. Ich danke dir!«
    Rufus schaute auf das Geschenk. »Aber brauchst du es denn nicht?«, fragte er.
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich bin Aili, Bydeggs Tochter, vom Stamm der Icener und Myrddins erste Schülerin. Und die drei Quellen des Wissens sind Denken, Erahnen, Lernen. Ich danke dir, Roudo.«
    Dann war sie fort.
    Rufus stand alleine mit Minster unter der Weide und er hielt den goldenen Wendelring in der Hand.
     
    Als Rufus aufwachte, hockte er zusammengekauert in seinem Sessel. Es war noch früh, das Tageslicht begann eben erst, sich zu zeigen. Er blickte auf seine Hände, aber da war nichts.
    Was für ein verrückter Traum, dachte er. Aili hatte zu ihm gesprochen. Rufus stand auf.
    Er wollte zu No und Filine und es ihnen erzählen.
    Dann blieb er stehen.
    Vor ihm im Zimmer saß Minster.
    »Minster, was tust du denn hier?«
    Statt einer Antwort drehte die Bisamratte sich um und rannte zur Tür. Rufus zögerte nicht. Ohne ein weiteres Wort folgte er ihr durch die Akademie. Als sie im Dogenhof ankamen, war Rufus klar, wohin Minster wollte. Rufus bückte sich und nahm sie auf den Arm.
    Dann lief er mit ihr die Treppe hinauf in den Saal, in dem sich Boudiccas Hütte materialisiert hatte.
    Minster zischte aufgeregt.
    Als Rufus die Hütte betrat, sah er No, der auf einem der Stühle am Tisch saß und den Kopf auf seine Arme gelegt hatte. Er schlief und lächelte glücklich. Vor ihm auf dem Tisch lag das Holzzepter.
    Rufus sah sich um. Doch obwohl Minster jetzt lauter zischte als zuvor, konnte er nichts erkennen.
    Im nächsten Augenblick aber geschah es.
    Es war anders als bei einer der Fluten, die Rufus bisher erlebt hatte. Es rauschte nicht, es hörte sich nicht nach Regen an, sondern es geschah vollkommen lautlos. Ein Gefühl von Licht und Wärme breitete sich um ihn und Minster herum aus. Und dann lag der Wendelring plötzlich in Rufus’ Hand.
    Er war schwer und glänzte dunkel, und er fühlte sich warm an.
    »Minster«, flüsterte Rufus. »Du hast mich durch eine Traumflut geführt. Minster!«
    Die Bisamratte sah Rufus aus ihren kleinen, dunklen Augen an. Dann umrundete sie Rufus einmal und lief hinaus.
    In diesem Moment schlug No die Augen auf.
    »He, Rufus«, sagte er verschlafen. »Das ist ja witzig, ich habe gerade von dir und Filine geträumt. Ich habe geträumt, dass wir in der Mensa zusammen frühstücken. Toll, dass du von selbst hergekommen bist!«
    Rufus grinste und hob die Hand mit dem Wendelring. »Erkennst du ihn, No?«
    No riss die Augen auf und stieß die Luft aus. »Der Wendelring! Wo hast du den denn her?«
    »Ich habe auch geträumt«, sagte Rufus. »Und es funktioniert!«
    Im selben Moment erklangen Schritte im Dogenhof. Jemand stürmte die Treppe hoch und rannte dann durch den Saal auf die Hütte zu. Ein Schatten fiel durch die Tür.
    Es war Filine.
    »Da seid ihr ja!«, rief sie. »Da ihr beide nicht in euren Zimmern und auch nicht in der Mensa wart, dachte ich, ihr müsstet hier sein.«
    No und Rufus grinsten sich an.
    »Das war wirklich toll gestern!«, sprudelte Filine weiter hervor. »Ich konnte heute Nacht kaum schlafen! Obwohl ich es auch ziemlich blöd fand, dass ich meine Eltern gar nicht richtig gesehen habe. Aber sie haben uns alle zusammen für die Ferien eingeladen. Und dann die Flut! No, du hast es geschafft!«
    »Ja«,
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