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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben
Autoren: Boris Pfeiffer
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erstanden. Wundere dich also nicht, wenn du zu Hause darüber stolpern solltest. Es ist eine silberne Ampulla, ein Gefäß für Salbungsöl.«
    Gino Saurini legte die Hände zusammen. »Der Flutmarkt und der Besuchstag sind vorüber. Was habt ihr nun vor?«
    »Ist doch klar«, sagte No stolz. »Ich bleibe jetzt erst mal ein bisschen in der Hütte. Das ist einfach nur der Hammer. Ich will genau wissen, aus welchen Teilen man so einen Streitwagen baut, wie die Hütte gemacht wird, und dann sehe ich mir in aller Ruhe den Stab an.«
    »Alles klar«, nickte Rufus, und Filine zwinkerte No zu.
    Es war vollkommen normal, dass der Lehrling, dessen Fragment eine Flut heraufbeschworen hatte, danach eine Weile mit dem Artefakt allein sein wollte.
    Filine und Rufus machten sich auf den Weg in ihre Zimmer. Die Flut war zu Ende, und die Flutgruppe konnte sich getrost auflösen.
     
    In seinem Zimmer angekommen ließ Rufus sich in den großen Sessel fallen. Es war früher Abend. Die Sonne war eben untergegangen, und vor dem Fenster lagen die Dächer in der ersten Dunkelheit.
    Rufus dachte an die Flut. Sie war also doch zu einem Ende gekommen, und sie hatten sie erfolgreich gemeistert. Trotz seiner merkwürdigen Träume und obwohl es lange so ausgesehen hatte, als würde es keine erfolgreichen Traumfluten geben. Andererseits, es war keine reine Traumflut gewesen. Er hatte lediglich einen Teil der Geschichte geträumt. Und doch waren dabei No und Filine zu ihm gestoßen.
    Rufus seufzte.
    Er würde sich weiter damit beschäftigen müssen, es gab noch sehr viele ungelöste Fragen.
    Jemand klopfte an seine Tür.
    »Komm rein!« Rufus nahm an, dass es Filine war.
    Doch stattdessen erschien Coralia.
    »Hey, Rufus!« Das dunkelhaarige Lehrlingsmädchen stolzierte ins Zimmer. Sie trug immer noch das tiefrote Kostüm, das sie auf dem Flutmarkt angehabt hatte. »Deine Mutter ist ja richtig cool!«
    Rufus zuckte zusammen, als er das Wort hörte.
    Coralia ließ sich auf sein Bett fallen und streckte die Beine vor sich aus. »Ich habe ihr den ganzen Flutmarkt gezeigt, und am Ende hat es ihr richtig Spaß gemacht. Ich glaube, sie hat ein Händchen für gute Geschäfte.«
    Rufus kniff unwillig die Augen zusammen.
    »Was für Geschäfte?«
    »Tja«, antwortete Coralia. »Die Akademie muss von irgendwas leben. Das hast du ja inzwischen mitgekriegt. Konntest du übrigens deinen Kopf gut unterbringen? Ich habe ihn auf dem Markt gar nicht gesehen. Na ja, ich hoffe es für dich. Auf alle Fälle hat deine Mutter, wenn ich das richtig gesehen habe, ein ganz hübsches kleines Artefakt gekauft. Vielleicht verkauft sie es irgendwann mal weiter?! Dann könnte sie bestimmt einen ganz guten Schnitt machen.«
    Rufus sprang auf. »Und was hast du damit zu tun? Was hast du mit meiner Mutter zu tun?«
    »Keine Sorge!« Coralia erhob sich ebenfalls. In ihren dunklen Augen schimmerte der helle Fleck. »Nicht mehr als du. Du erinnerst dich doch, was ich dir gesagt habe, von den Träumen. Du kannst es doch, oder?«
    »Ich kann es nicht«, widersprach Rufus. »Ja, ich habe einen Teil von der Flut geträumt, aber sie wäre deswegen fast gescheitert.«
    Coralia lachte auf. »So ein Unsinn«, sagte sie gedehnt. »Traumfluten müssen nicht scheitern. Überhaupt nicht. Das ist eine Legende. Ein großer Irrtum. Im Gegenteil, es läuft alles sogar viel schneller ab als in einer gewöhnlichen Flut. Und ich sage dir, jeder der es kann, kann jede Nacht träumen.«
    »Na und?«
    »Und am nächsten Morgen«, Coralia malte mit der Hand einen Wirbel in die Luft, »ist vielleicht schwuppdiwupp etwas da, was vorher nicht da war. Ohne lange Suche. Ohne lange Geschichte. Einfach da. Und dann kann man es verkaufen. Zum Beispiel an deine Mutter oder so.« Sie machte eine kleine Pause. »Weißt du, Rufus, man muss gar nicht immer alles von einem Artefakt wissen. Es reicht manchmal auch, wenn es einfach da ist und man etwas damit tun kann. Handeln statt Wissen, verstehst du?!«
    »Nein«, sagte Rufus energisch, obwohl er glaubte, dass er sehr gut verstand. »Und ich will jetzt auch, dass du gehst, Coralia. Ich habe keine Traumflut erlebt, und ich habe kein Artefakt herbeigeträumt. Also lass mich in Ruhe.«
    Coralia wandte sich zur Tür.
    »Na schön«, sagte sie. »Aber es könnte ja sein, dass du noch dahinter kommst. Deine Mutter scheint da etwas weiter zu sein als du. Ich dachte mir, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm …«
    »Coralia!« Rufus’ Stimme war ungewohnt scharf geworden.
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