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Die Stunde Der Toechter

Titel: Die Stunde Der Toechter
Autoren: Michael Herzig
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hatte er in die Autotür getreten. Als sie ihn ansah, zeigte er ihr den Finger. Johanna lächelte zurück. Da war der Radfahrer bereits um die Ecke. Sie schmiss ihre Kippe aus dem Fenster. Falls er zurückkam, würde sie ihn erschießen.
    »Das ist Umweltverschmutzung! Wegen solchen wie dir geht der Planet vor die Hunde!«
    Ein fetter Alkoholiker ohne Vorderzähne torkelte auf die Fahrertür zu. Er schwenkte eine Bierdose über dem Kopf. Aus der Öffnung spritze es. Johanna kramte ihren Ausweis aus der Jeansjacke hervor und streckte ihn dem Alki entgegen. Der Mann musste sehr nahe kommen, um zu verstehen. Sie spürte seinen Atem im Gesicht. Angeekelt kurbelte sie das Fenster hoch. Er machte einen tiefen Bückling, brabbelte irgendetwas und stolperte an die Bushaltestelle zurück. Um den Gestank zu überdecken, zündete sich Johanna eine Zigarette an.
    Sie überlegte gerade, ob sie beginnen sollte, doch an ihrer Theorie zu zweifeln, als die Meldung kam. Eine Streife der Regionalwache Industrie hatte beobachtet, wie ein schwarzer Chrysler von der Limmatstrasse in die Quellenstrasse eingebogen war. Johanna meldete sich beim Einsatzleiter. Er schnauzte, sie solle auf Verstärkung warten. Gleichzeitig beorderte er alle Fahrzeuge an die Langstrassenunterführung.
    Johanna startete den Motor. Der Killer fuhr ihr in die Arme. Auf Umwegen zwar. Doch er kam. Sie würde bereit sein. Auf der Gegenspur fuhr sie an der Autokolonne auf der Langstrasse vorbei und zwängte sich vor das erste Fahrzeug auf den Fußgängerstreifen. Von wütendem Hupen begleitet. Eine junge Frau zeigte ihr im Vorbeigehen den Vogel. Johanna erschoss sie nicht, sondern versuchte es abermals mit einem Lächeln. Erfolglos. Sie ging an der Kreuzung unmittelbar vor der Unterführung in Stellung. Einen weiteren Gehsteig blockierend.
    Keines der anderen Polizeifahrzeuge war bislang aufgetaucht. Damit der Fahrer keinen Verdacht schöpfte, hatte die Streife den Befehl erhalten, den Wagen nicht zu verfolgen. Stattdessen hatte sie sich am Limmatplatz in den Verkehr eingereiht. So konnte sie ihm indirekt folgen. Tatsächlich meldete der Streifenwagen nach einigen Minuten, dass der Chrysler von der Röntgenstrasse her in die Langstrassenunterführung eingebogen war.
    Johanna sagte dem Einsatzleiter, er solle sich nicht in die Hosen machen. Dann schaltete sie den Funk aus und fuhr los. Der Chrysler kam ihr langsam entgegen. Hinter der Frontscheibe erkannte sie zwei Männer. Vor dem Wagen waren zwei Fahrzeuge, dahinter klaffte eine Lücke. Weiter hinten sah sie ein rotes Cabrio in die Unterführung fahren. Gefolgt von dem Streifenwagen.
    Johanna atmete tief durch und überprüfte mit der Rechten, ob der Sicherheitsgurt eingeklinkt war. Danach umfasste sie mit beiden Händen das Lenkrad. »Steve McQueen zu Ehren!«, sagte sie leise zu sich selbst.
    Dann gab sie Gas. Der Fahrer des Chryslers versuchte auszuweichen. Zu spät. Sie erwischte ihn am linken Kotflügel. Wie ineinander verkeilte Kampfhunde schlitterten sie auf die Tunnelwand zu. Der Beton wirkte extrem weiß.
    Dann wurde es dunkel.
    4.
    »Johanna, bist du’s? Johanna di Napoli?«
    Sie versuchte aufzusitzen. Der Pfleger rollte missbilligend mit den Augen. Sie streckte ihm die Zunge heraus. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Schließlich war er das Erste, was sie gesehen hatte, als sie wieder zu sich gekommen war.
    Wie lange das her war, wusste sie nicht mehr. Sie hatte sich Stück für Stück in die Realität zurückgetastet. Das Blaulicht bemerkt, das die Szenerie theatralisch verfremdete. Die Tunneldecke. Die harte Bahre, auf der sie lag. Kalte Stahlrohre. Fotografen. Spurensicherung. Maskierte Polizisten mit umgehängten Maschinenpistolen. Unfallautos, die auf einen Transporter geladen wurden.
    Der Mann, der gerufen hatte, kam ihr bekannt vor. Um die sechzig, dichtes weißes Haar, Bauchansatz und braun gebrannt. Er könnte Arzt sein. Mit einer Segeljacht auf dem See. Oder Architekt. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, woher sie ihn kannte. Ihr Gehirn war erschüttert. Mittelschwer, hatte der Arzt gesagt.
    Der Rufer kam auf sie zu. Über seiner linken Schläfe und auf seinem rechten Wangenknochen klebten Pflaster. Seine linke Hand war bandagiert. Zwei uniformierte Beamte wichen keinen Millimeter von seiner Seite. Sein Anzug war zerknittert. Aber auch so sah er teuer aus.
    »Du hast abgeräumt, Jo!«
    Die Kollegen grinsten. Sie wussten genauso gut wie Johanna, dass sie in der Tinte saß.
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