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Die Stunde Der Toechter

Titel: Die Stunde Der Toechter
Autoren: Michael Herzig
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ausgesehen als sonst. Er war sozialen Interaktionen hilflos ausgeliefert und vermied sie, so gut es ging. Vor allen Dingen, wenn Johannas Freundin aus dem Sonderkommissariat involviert war. Sie hatte kaum Kleider am Leib, ein freches Mundwerk und einen tätowierten Rücken. Dem war er noch weniger gewachsen als seinem Job als Dozent der Rechtsmedizin.
    Johanna hatte sich vor Jahren für diesen Kurs eingeschrieben. In dem Glauben, sich neue Optionen schaffen zu müssen. Danach hatte sie die Schulung mehrmals verschoben. Weil sie keine Zeit gehabt hatte oder weil andere Weiterbildungen dringender gewesen waren. Schließlich war der Kurs wieder einmal angeboten worden. Und sie hatte sich nicht getraut, grundlos abzusagen. Also war sie vor zwei Wochen zusammen mit Grazia in die erste Lektion gegangen und hatte sofort herausgefunden, dass dies ihre Perspektiven nicht wesentlich verbessern würde.
    Während Johanna beobachtete, wie der Lehrer aus den Augenwinkeln Grazia musterte, überlegte sie sich, ob sie nicht lieber abhauen sollten. Sie könnten in der Limmat baden gehen. Oder ein Boot mieten und auf den See hinausrudern. Es wäre alles besser, als sich den ganzen Tag unter fachkundiger Anleitung zu langweilen. Außerdem hatte sie in der kommenden Nacht Dienst, weshalb sie einen ruhigen Nachmittag an der Sonne verdient hätte. Als Vorschuss sozusagen.
     
     
     
     
    3.
    Köbi Fuhrer hatte ihr den Blick auf das Pult gelegt, bevor er Feierabend gemacht hatte. Um seinen Schrebergarten vor dem Dürretod zu bewahren, verschwand er jeden Nachmittag so früh wie möglich. Seit Wochen war es brütend heiß. Jene, die etwas gegen Köbis vorzeitiges Verschwinden hätten einwenden müssen, waren im Urlaub.
    Johanna di Napoli blätterte lustlos die Seiten um. Miss Schweiz ließ sich auf einen welschen Rapper ein, ein Bundesrat schrieb Gedichte, ein anderer Hasstiraden, und ein Radprofi war an Herzschwäche gestorben. Sie war für jeden Artikel dankbar, der nicht die Klimaerwärmung thematisierte.
    In der Nachmittagshitze hatte sie sich verdrückt und war mit Grazia an den Oberen Letten baden gegangen. Allein traute sie sich dort nur angezogen hin. Im Badeanzug kam sie sich vor wie eine Schweinswurst in der Auslage eines Delikatessengeschäfts. Umgeben von Rinderfilets und Kaninchenrücken. An Grazias Seite fühlte sie sich immerhin wie ein Kotelett.
    Trotzdem war aus dem spontanen Badeplausch ein Spießrutenlauf geworden. Johanna trug zu wenig Farbe und Metall am Körper. Dafür zu viel Textilien. So war sie nach einigen Zügen in der Limmat in Richtung Büro geflüchtet. Die Kultstätte des Exhibitionismus im Rücken war sie mit der Vespa die Langstrasse hinaufgebraust. Nach einem kurzen Zwischenstopp am Kebabstand hatte sie die Regionalwache Aussersihl betreten. Dankbar dafür, dass die Mehrheit ihrer Kundschaft hässlich war.
    Es gab wenig zu tun für die Stadtpolizei. Anscheinend war es zu heiß für Verbrechen. Wenigstens tagsüber. Nachts schien einiges kompensiert zu werden. Während der letzten Wochen war Johanna unzählige Male wegen Nachtruhestörungen, Kneipenprügeleien und paranoiden Wahnzuständen ausgerückt. Die wirklich Bösen allerdings schienen in den Ferien zu sein. Darum reichte Köbis Blick nicht aus, um sich eine ganze Nacht um die Ohren zu schlagen. Vorsichtshalber hatte sie einen Band von Krieg und Frieden im Büro deponiert.
    Diesen hatte sie noch nicht einmal aufgeschlagen, als die Meldung kam. Vielmehr schaute sie gerade die Fotos einer Fischrettungsaktion in der Töss an. Den Tieren waren gleichzeitig das Wasser, der Sauerstoff und die Kälte abhandengekommen. Bisher hatten ihr Fische nicht besonders nahegestanden. Da die jedoch Sommer für Sommer verendeten, war Johanna dem WWF beigetreten.
    Die Einsatzzentrale meldete, dass die Kantonspolizei in Kloten einen schwarzen Mercedes gefunden hatte. Wie ein Zeuge berichtete, war das Auto auf offener Straße von einem anderen Wagen gerammt worden. Der Fahrer war tot. Ein Kopfschuss, wie es schien. Ansonsten war der Mercedes leer gewesen. Allerdings hatten die Türen offen gestanden, weshalb die Kantönler eine Entführung oder einen Raub vermuteten.
    Johanna schaute auf die Uhr. Es war zehn nach acht. Sie legte die Zeitung weg und konzentrierte sich auf den Funk.
    So gerne sie sich in fremde Zuständigkeitsbereiche einmischte, von Gewaltdelikten auf Kantonsgebiet musste sie die Finger lassen. Sie hoffte inständig, die Ereignisse wenigstens am Lautsprecher
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